Wand und Boden: Deutschland, ein Caféhausmärchen
■ Kunst in Berlin jetzt: vice versa, Jörg Immendorff, Leonards Laganovskis
Im Metropolitan Museum of Art in New York hängt ein monumentales Schlachtengemälde. Wie bei einer Ikone bündeln sich auf „Washington überquert den Delaware“ all die Kräfte des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Gemalt hat das Bild der Schwabe Edmund Leutze 1851 während seiner Zeit an der Düsseldorfer Akademie.
Diese höchst erstaunliche Verknüpfung ist Ausgangspunkt für „vice versa“ im Deutschen Historischen Museum. Mit der Akribie von KunstwissenschaftlerInnen haben Katharina und Gerhard Bott über 100 Gemälde und 20 Grafiken zusammengestellt, die nun übersichtlich in einem knappen Dutzend Kojen hängen. Bei aller staatstragenden Schwergewichtigkeit wird damit eine eher unbekannte Geschichte der Migration erzählt.
Schon in den zehner Jahren des neunzehnten Jahrhunderts fuhren Schweizer wie Karl Bodmer in die Neue Welt, um am Missouri Büffel zu malen oder in vorsichtigen Ethno-Studien Sioux-Indianer zu erkunden. Mit dem Aquarellkasten saß Bodmer vor Totempfählen und Heiligtümern oder fertigte Porträts von Hidatsa-Männern. Nichts daran wirkt exotisch, eher bemüht sich der Zeichner möglichst jede Falte von Umhängen und Gesichtern naturgetreu darzustellen. Ästhetisch wird der Umgang mit den „edlen Wilden“ erst, als vierzig Jahre später die Romantik von Deutschland nach Amerika aufbricht. Wiederum ist es Leutze, der seinen „letzten Mohikaner“ 1850 einsam auf einem Felsen plaziert, während unter ihm die Zelte brennen. Dabei lagen Leutzes Vorlieben in der italienischen Malerei: Kurz nach Washingtons Bootsfahrt findet sich die gleiche Anordnung der Figuren 1857 unter dem Titel „Tizian auf der Lagune“ wieder.
Umgekehrt wuchs auf amerikanischer Seite das Interesse an den Kunstschulen von Düsseldorf und München. Frank Duveneck aus Cincinnati etwa studierte bei Wilhelm Leibl und kopierte dessen grob pastosen Porträtstil ebenso wie die expressiven Naturbilder. Heute hängt Duvenecks „Landschaft bei Polling“, die um 1876 entstand, im Detroit Athletic Club. Joseph Frank Currier ging in seiner Liebe zum Dachauer Moor und den dramatischen Effekten der Wolken bis in die farbliche Auflösung des Impressionismus.
Andererseits sind es dieselben Amerikaner, die in Deutschland den Sozialismus entdecken und massenweise Arbeiter malen. Und Theodor Kaufmann aus Uelzen identifiziert sich nach den Maiaufständen von 1849 im New Yorker Exil mit den Sklaven, für die er das Bild „Auf zur Freiheit“ 1867 malt. Erst mit der Abstraktion zu Beginn dieses Jahrhunderts verflüchtigen sich die Spuren. Der Internationalismus wird zur Norm: Nach Studien in Paris und Berlin stellt Marsden Hartley sein kubistisches „Stilleben“ 1913 auf der New Yorker Armory Show aus. Aber da war auch Marcel Duchamp bereits in Amerika angekommen.
Bis 1. 12., Do.–Di., 10–18 Uhr, Unter den Linden 2
Drei Einschnitte gab es im Leben von Jörg Immendorff: 1964 wurde er in die Beuys-Klasse an der Düsseldorfer Akademie aufgenommen; in den siebziger Jahren malte er Bilder zum Arbeiterkampf; und 1989 war die DDR am Ende. Zwischen den Zeiten ist aus dem Jungen Wilden aus Bleckede bei Lüneburg der Herr Professor geworden, der an der Frankfurter Städelschule lehrt, und dessen Bilder gerne in Banken oder der Sammlung des Immobilienmaklers Dr. Erich Marx hängen. Das alles muß Immendorff zunehmend verwirrt haben: Auf seinem 3,50 mal 7,00 Meter großen Historiengemälde „Gyntiana“ (1992/93) sitzt Marx mit seinem Gehülfen Heiner Bastian oben rechts fett in der Kneipe, Beuys fegt die Kippen aus und kehrt zudem als Zombie auf einem Esel reitend wieder; und Heiner Müller hockt auf einem Erdhaufen, der aus dem Bild quillt. Deutschland, ein Caféhausmärchen.
Immendorff, dessen Freundschaftsbilder in den achtziger Jahren an Künstlergrößen wie Duchamp oder Kollegen à la Penck, Lüpertz und Baselitz adressiert waren, findet sich im eigenen Kiez nicht mehr zurecht. Also wandert er nach Aualand aus, von dem bald die Hälfte der im NBK ausgestellten 140 Zeichnungen handeln, die sich auf den verbleibenden drei Wänden rund um die Mammut-„Gyntiana“ verteilen. Dort entdeckt er, daß der Schädel einer Höhle gleicht, und daß in jeder Frau eine Zwiebel steckt, wenn man nur Georg Lukacs folgt, der Ibsens „Peer Gynt“ in seiner Kritik mit Zwiebeln verglich: „Es blättert sich eine Haut nach der anderen ab, bis am Ende nichts mehr übrigbleibt.“
Immendorff malt ähnlich: Mal sieht man dicke Putten auf Wolken sitzen, dann arbeitet sich der Künstler selbst kniend zwischen den Schenkeln einer Muse ab, und dann ist wieder Vereinigung. Die Aquarelle sind mit sehr viel Schwung und vor allem schnell entstanden, das meiste zwischen August und September diesen Jahres. Trotz Massenproduktion glaubt zumindest Immendorff an ihre Unschuld: „Bilder sind wie schlafende Kinder, sie sind schön anzusehen und man kann sie behutsam wecken. Wenn man sich ihnen widmet, werden sie sicherlich auch gerne mit einem spielen.“ Der Maler hält sich dagegen lieber ans Kindermädchen.
Bis 17. 11., Di.–Fr., 12–18 Uhr, Sa./So. 12–16 Uhr, Chausseestraße 128/129
Man kann sich natürlich auch zurückhalten. Dezent hat Leonards Laganovskis sechs Bleistiftzeichnungen in einer Woche im September angefertigt. Jede heißt „43 Düfte“, ist sorgsam datiert und zeigt das immer gleiche Motiv: Ein Quader auf einer Bühne, dem 42 andere, sich überlagernde Quader gegenüberstehen. Wie in John Careys Analyse britischer Intellektueller geht es um die Angst vor den Massen, in der Vermischung verliert sich der individuelle Duft, „was letztendlich zu einem schlecht riechenden Gemisch führt“. Und in einem Atelier stinkt es nach Farbe, soweit das unendliche Betriebssystem hinter Laganovskis Klagen.
Er trägt es trotzdem mit Humor. Im zweiten Raum seiner „Saga“ hat der in Berlin lebende Konzeptualist aus Riga ein Fotomodell Szenen aus dem Leben einer Galeristin nachstellen lassen. Auf 47 Kleinformaten verbringt sie ihren Tag recht romantisch zwischen Schminktisch und Steuerabrechnung, ab und zu werden die Werke der Künstler angehimmelt; Aktaufnahmen vom „Bauch der Galeristin“ oder das alte Helmut-Newton-Spiel mit Standbein/Schambein gibt es auch in diesem jugendmagazinartigen Ambiente. Geschickt löst Laganovskis dabei das Berufsbild im Klatsch auf.
Als Künstler gibt er sich jedoch weit pessimistischer: Seine „Familienchronik“ auf fleischfarbenem Grund beginnt beim Großvater, der einst König Salomon und Petrus ficken durfte, der Vater hatte es immerhin noch mit Freud oder den Gebrüdern Grimm; für den Junior aber bleiben bloß BVG- Kontrolleure und die eigene Tochter übrig. Kunst als Verfallsgeschichte, bei Laganovskis führt sie vom Sozialismus in die Barbarei.
Bis 26. 10., Galerie Barbara Weiss, Potsdamer Straße 93 Harald Fricke
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