Wand und Boden: Gehäutete Körper
■ Kunst in Berlin jetzt: Zabka, Hockney, Hugo, Martinsons
Emma von Hohenbüssow ist von uns gegangen. Ihr zu Ehren hat der Installationskünstler Reinhard Zabka in der Galerie am Prater eine Gedächtnisausstellung eingerichtet. Ein großer Verlust ist ihr Dahinscheiden nicht, zumal zu befürchten steht, daß sie auch als totes Huhn keine Ruhe geben wird. Zwar muß Emma von Hohenbüssow als ostdeutsche Dissidentin der achtziger Jahre gerühmt werden, doch als das Huhn, das sie war, pickte sie die Kunst vom Boden auf, die entsprechend platt daher kam. Peter Radunski stiftete zu ihrem Begräbnis einen Kranz mit der Inschrift „Nur ein toter Künstler ist ein guter Künstler“. Leider ist Peter Radunski im Originalton viel besser. Man muß seine Flops gar nicht zitieren. Vielleicht sollte man ihm den durch den Tod von Emma frei gewordenen Direktorenposten des „Wahren Deutsch-Historischen Lügenmuseums“ in Babe in der Ostprignitz andienen. Er hätte, tatsächlich auf Hohenbüssows Ableben angesprochen, sie mit absoluter Sicherheit als große Künstlerin gewürdigt. Dieser Joke ist ja billig zu haben.
Bis 4.1., Di.–Fr. 14–20, Sa. 16–20 Uhr, Kastanienallee 100
Die Zeichnungen von David Hockney sind dagegen keinesfalls billig zu haben. Auch das ist jetzt am Prenzlauer Berg möglich. Mit Zeichnungen und Radierungen des britischen Künstlers eröffnete Barbara Blickensdorff ihre Galerie in der Kollwitzstraße. Nicht der Splish, A Bigger Splash Hockney ist zu sehen, sondern der zeichnerische Virtuose, der sich für die Gedichte des griechischen Dichters Constantine P. Cavafy und die Märchen der Brüder Grimm interessierte. Deren gothic novels verhalf er 1969 zu italienischem Charme, wenn er etwa dem „Older Rapunzel“ einen Botticelli-Kopf aufsetzte. Da steht sie nun, ebenso dekorativ wie erwartungsvoll, mit wenigen, sehr sicheren Strichen vor ein feines Hintergrundraster gestellt. Ihr Haar ist säuberlich zu einem Haufen aufgeschichtet, und die Präraffaeliten-Lilie ziert die altjüngferlich gefalteten Hände. Ein bißchen eine komische Figur ist sie schon. Und auch die hübschen schwulen Boys im „Cavafy Portfolio“ sind nicht ohne Sinn für den Comic zu haben. Hockney brilliert in den Umrißlinien seiner Figuren. Inmitten des raffiniert umgrenzten Weiß finden sich dunkle Inseln schwarzer Striche: die Achsel-, Scham- und Brusthaare. Geradezu fetischistisch herausgearbeitete Details, die das Begehren in die blanke Begierde ummünzen. Die stutzerhaften Puppengesichter der Jungs setzen dahinter wieder ein Fragezeichen. Hockney wahrt die Balance. Im einzelnen Blatt wie im Zyklus.
Bis 23.12., Mi.–So. 14–21 Uhr, Kollwitzstraße 53
Wirklich „gothic“ sind dagegen die neunzehn Zeichnungen von Victor Hugo aus dem Jahr 1856, die in der Galerie von der Tann zu sehen sind. Hugo, der zu dieser Zeit sein Exil auf der Kanalinsel Guernsey antrat, wußte aus einem Klecks die schönsten Monstren zu zaubern. Und wenn sich seine Häuser dunkel und schief gegen den Himmel auftürmen, das Fachwerk dicht an dicht, dann meint man etwas verfrüht in der expressionistischen Stummfilmstadt des „Golem“ gelandet zu sein. Antiklassisch, sind seine Landschaften weniger romantisch als phantastisch, halluzinatorisch. Sie entwickeln sich – wie seine Portraits – aus dem ersten spantanen Federstrich. „Der Alte“ hat dann einen riesen Zinken und ein sardonisches Grinsen. Der Autor von „Les Misérables“ und natürlich dem „Glöckner von Notre-Dame“ läßt der Tusche ihren Lauf, er laviert sie und zieht dann aus dem Nassen eine neue Form heraus. Entsprechend ist der „Essai de plume encre brune“ genau, was der Titel besagt, ein Versuch, mit der Feder eine ununterbrochene Schlangenlinie mit brauner Tinte zu malen.
Bis 20.12., Di.–Fr. 12–18 Uhr, Kurfürstendamm 173/174
Man kann in der Beletage nicht das Wahre, Gute, Schöne feiern, während im Keller den Mitmenschen die Haut abgezogen wird. Hugos politisches Engagement, das ihm die Verbannung einbrachte, war derart motiviert. Manchmal lebt man auch als Person so zwiegespalten. Carolyn Martinsons ist in ihren Keller gestiegen und hat die enthäuteten Körper ans Tageslicht geholt. Blutrot reiht sich in der Galerie Weißer Elefant ein Bild an das andere. Es ist ein Liebespaar, das die britische Künstlerin, die seit 1984 in Berlin lebt, zeigt. Die geschundenen Körper schmiegen sich zart aneinander, Bauch gegen Bauch, Rücken gegen Rücken. Das sieht dann selbst wieder wie ein freigelegter Muskel aus, wie eine obszöne Körperöffnung oder wie ein Schnitt ins rohe Fleisch. Monomanisch, mit dichtem Farbauftrag, fast monochrom.
Bis 21.12., Di.–Fr. 14–19, Sa. 15–18 Uhr, Almstadtstr. 11 Brigitte Werneburg
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