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Wand und BodenEin Requiem auf die Medusa

■ Kunst in Berlin jetzt: Stefan Hoderlein, Charline von Heyl, Astrid Klein/Martin Kippenberger

Die jungen Leute, die Stefan Hoderlein kennt, heißen Gitti, Kamura, Hiromi, Gabriel oder Steve und gehen alle gern auf Techno-Partys. Jetzt tanzen sie in der shift-Galerie auf etlichen Videomonitoren hinter kleinen Löchern in der Mauer, durch die man ihre winzigen, weit entfernt scheinenden Figuren sehen kann. Vom Band laufen House-Tracks zu „Peeping Jack“, während auf den Videos die Stimmung der Tänzer mehr wie ein Loop wirkt. Bei Steve regnet es die ganze Zeit, trotzdem rudert er in seinem XL- Schlabberlook völlig ekstatisch mit den Armen.

Der 1960 geborene Hoderlein arbeitet mit visuellen Tricks. Daß man seine ravenden Modelle auf Punktgröße geschrumpft sieht, liegt an der Fokussierung durch die trichterförmige Bohrung: Hoderlein benutzt die Wand als Kamera, ansonsten spielt er mit der Überlagerung von Medien. Für die Parallelausstellung in der Galerie M.+R. Fricke hat er ein computeranimiertes Video seiner beim Tanzen vervielfachten Schuhe mit einer Diaprojektion aus Alltagsfotos und eingeblendeten Textbrocken kombiniert, die leicht zeitverzögert stets neue Aussagen bilden.

Der Rhythmus, in dem die Bilder vom Partywochenende wechseln, ist schnell, denn „die Szene ist intensiv geworden“. Zugleich wirken die Aufnahmen noch privater als etwa die massenhaften Portraits von Wolfgang Tillmans. Dann entpuppt sich Hoderlein mit einer Serie aus 108 säuberlich verhängten Zeitungscollagen als Punk der alten Schule: „Das anonyme Bekenntnis“ versammelt allerlei Boulevard-Trash, wobei die mit knappen Thesen gekoppelte Mischung aus Sex und Krieg und Jugendrevolte an maoistische Erziehungsprogramme erinnert. Immerhin erfährt man auf diesem Wege, daß Wünsche nicht für die Wirklichkeit gemacht sind – und deshalb braucht man zur Vermittlung Bilder.

Bis 27.4., Do.–So. 15–19 Uhr, Friedrichstraße 122/123

Bis 3.5., Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–15 Uhr, Linienstraße 109

Zunächst sieht man bei Charline von Heyl im Studio III des Künstlerhauses Bethanien überall Zitate. Von Rembrandt über Munch und de Kooning bis Albert Oehlen sind die sechs großformatigen Gemälde mit Geschichte gespickt, ohne daß im steten Gegensatz abstrakter und figürlicher Fragmente ein Ziel in Sicht wäre: Jede Fläche ist nur eine weitere Fläche auf einer anderen Fläche. Mal fügen sich giftige Schlieren und moorbraun verlaufende Felder um eine stechende Kitsch- Sonne, mal glotzen zwei grüne Augen vom oberen Bildrand herunter. Doch bevor aus dieser Gemengelage zu deutlich Figuren entstehen, schieben sich neue Motive darüber und löschen den vorgeblichen Eindruck wieder aus. Das wirkt bisweilen gespenstisch, angefüllt mit Farbe und doch leer.

Tatsächlich leben von Heyls Bilder vom Wechselspiel aus Ungeduld und Langsamkeit, expressiver Wut und Grübelei. Die 1961 in Mainz geborene Malerin schichtet immer neue Farben aufeinander, überdeckt das ohnehin schon zerklüftete Netzwerk mit einem feinen Gazetuch und überarbeitet die dadurch hinzugewonnene Fläche noch einmal. Mitunter schneidet sie Streifen und Löcher in die zweite Bildhaut oder reißt den Schleier herunter, so daß der ursprüngliche Malgrund hervorkommt und sich nun ansatzlos mit den später eingearbeiteten Schichten verbindet wie bei einem fast willkürlich arrangierten Mosaik.

Statt einer linearen Struktur ergeben sich aus diesem Zufall und Zusammenfall rhizomatisch angelegte Energiebündel, fett strahlende rosa Kreisformen etwa, grauweiße Zackenmuster oder eine wässerig abtropfende Kurve in verregnet matten Erdtönen. Daß am Ende alles wohlbalanciert und zudem transparent bleibt, ist eine List der Künstlerin. Dann steht man, mit den Problemen aus ein paar hundert Jahren Malerei allein gelassen, vor ihren Bildern und kann die Spuren nicht mehr auseinanderhalten.

Bis 6.4., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2

Die Foto-Künstlerin Astrid Klein hat den Käthe-Kollwitz- Preis für ihre „De-Montage der Realität“ bekommen, was man an einer elfteiligen Serie mit grobgekörnten Vergrößerungen von Patientinnen sieht, die in einem Hospizgarten unentwegt im Kreis laufen. Die beengende Szene mag mit dem Wissen um Wahnsinn und Hysterie korrespondieren, vor allem aber hat Klein den Ausschnitt formal zugespitzt.

Bei Martin Kippenberger war man sich hingegen einig, daß seit Joseph Beuys kaum jemand in den letzten Jahren so konsequent in das Kunstgeschehen eingegriffen hat. Tragischerweise ist Kippenberger vor drei Wochen an Leberkrebs gestorben, und so wurde seine Ausstellung in der Akademie der Künste zu einer Art Requiem. Nun starrt man ein wenig bedrückt auf die „Medusa“-Serie aus Lithographien und wuchtigen Ölbildern, die den körperlichen Verfall des Künstlers bis ins Detail nachzeichnen. Nur der Blick bleibt auf einigen Studien sanft und doch sehr traurig.

Das „Floß der Medusa“, 1819 von Théodore Géricault als Kommentar auf den Untergang einer französischen Fregatte vor der Senegalküste gemalt, bildet den Ausgangspunkt für Kippenbergers Zyklus. Er bleibt unglaublich nah an den Vorgaben: Selbst das Floß, das sich Géricault nachbauen ließ, wurde als Muster auf einem grünlichen Teppich rekonstruiert. Während ursprünglich das Schicksal der Besatzung auch als Metapher auf die Nöte unter der Regierung Ludwigs XVIII. gestaltet war, wird das Bild hier konkret und autobiographisch: Was heißt überleben? Wo Géricault den Moment der Rettung festhält, löst Kippenberger jede Zuversicht auf. Mal schwebt bereits ein grauer Schatten vor seinem Alter ego des winkenden Schiffbrüchigen davon, dann wieder sieht man einen winzigen Dampfer als parodistische Umrißzeichnung am Horizont schimmern. Auf einem anderen Bild steht „Hope“ in kantigen Lettern geschrieben, daneben klebt das Taschentuch, mit dem der in Seenot geratene Künstler Rettungssignale aussenden könnte. Spät erreichen sie allein den Betrachter, den das Motto im Katalog sehr berühren muß: „Es bleibt nur eine Chance: Durchhalten, so ungewiß der Ausgang auch sein mag.“ Dieses Prinzip hat Kippenberger bis zuletzt geliebt, man sieht es in jedem Bild.

Bis 20.4., Hanseatenweg 10 Harald Fricke

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