Wand und Boden: Hauptsache, der passende DJ legt auf
■ Kunst in Berlin 1997: Überall junge britische Kunst in Berlin, wenig Berliner Kunst auf der documenta und eine kommende Supernova
„Schnee für morgen“ stand ein bißchen verwirrend, aber doch sehr verheißungsvoll über dem Nachklapp auf das letzte Jahr, weil man ja lieber in die Zukunft schaut als bloß zurück. Jetzt scheint am Ende von 1997 noch die Sonne, das Thermometer zeigt angenehme 9 Grad Außentemperatur an, und das Wetter ist trotz Weihnachten so mild wie sonst nur in London – nicht einmal auf den Winter kann man sich hier mehr verlassen.
Plötzlich gehen alle Jahreszeiten bruchlos ineinander über, und in der Erinnerung sehen die Dinge ganz gleichförmig aus. Jedenfalls fällt es ziemlich schwer, Höhen und Tiefen zu unterscheiden: Das gilt für die documenta X ebenso wie für die vielen Modernen zur entsprechenden Ausstellung im Gropius-Bau oder für die ordentlich abgewickelte Geschichtstunde der „Deutschlandbilder“. Im Allover der geschmackvollen Inszenierung paßten Andy Warhols propere Brillo- Boxen zu Marcel Broodthaers verstiegenen Muscheltöpfen, nach 1945 war Kunst in Ost und West stets antifaschistisch und doch offen. Flotte Thesen, schnelle Wirkung. In diesem Sinne hatte auch Germano Celant als Chef der 97er Biennale von Venedig über seine Auswahlkriterien geschrieben, daß für ihn vor allem die Geschwindigkeit zählt, mit der Lebenswirklichkeiten in Bilder umgewandelt werden können, „in Mengen von Licht, in Novas und Supernovas“. Mit feineren Differenzmodellen ist den massenhaften Großveranstaltungen des vergangenen Jahres tatsächlich nicht besonders gut beizukommen. Deshalb wurde auch immer wieder jedes Highlight mit dem Hinweis kritisiert, daß man ohnehin besser mit vielen kleinen Ausstellungen gefahren wäre als mit lauter Events.
Weil aber auch das Gegenteil wahr ist, konnte man praktisch das gesamte Jahr über Wochenende für Wochenende den enorm gewachsenen Galerienparcours rund um die Auguststraße entlangtrampeln. Die Berliner Flohmarktkultur hat sich offenbar ganz einfach auf Kunsthandel verlegt. Passend zum Trend sahen die Kojen auf dem „art forum“ mehr wie Imbißbuden aus – statt Pommes mit Mayo gab es dann eben schmutzige kleine Sexbildchen von Nobuyoshi Araki. Wer noch ein paar Möbel brauchte, konnte bei Tobias Rehberger hübsche Clubsessel kaufen; wer lieber Kontext mag, traf sich im Hippie- zelt von Kai Althoff und Cosima von Bonin. Dort saßen vor allem JungkuratorInnen und schwärmten von obskuren neuen Locations, an denen man prima Party und Kunst verbinden könne – Hauptsache, der DJ legt auf.
Dieses Konzept für die neunziger Jahre scheint bis in die Gedenkdebatten zu reichen. Als die Entscheidung über das Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa nicht so recht vorankam, schlug György Konrad – immerhin Präsident der Akademie der Künste – kurzerhand vor, man möge doch statt schwerer Monumente eine Tanzfläche für die Jugend einrichten. So ist es denn nur ein kleiner Schritt von der Love Parade zum Holocaust-Rave. Dann hat man die Supernova endlich auch in Berlin. Harald Fricke
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Unter einer Sensation wollen es die YBAs, die „jungen britischen Künstler“ nicht machen. Zumindest präsentieren sie sich mit diesem Anspruch noch bis zum 28. Dezember in der Royal Academie – weil die Berliner Desaster- Schau vom Frühjahr, „Die Epoche der Moderne“, in London einfach ausfiel. „Sensation“, die die vom Sammler Charles Saatchi höchstselbst zusammengestellte Gruppenschau erhielt wenig freundliche Kritiken. Arbeiten von Chris Ofili, einem der Sensationsteilnehmer, waren im November bei Contemporary Fine Arts zu sehen. Charakteristisch für Ofili, den in Manchester geborenen Künstler nigerianischer Abstammung, sind die braunen Elefantendung-Knödel, die er von einem Studienaufenthalt in Simbabwe mitbrachte, und üppige Afro-Köpfe, die aus den Hochzeiten der Black-Panther- Bewegung stammen. Damit gibt er seinen bunten Glitterbildern einen klar erkennbaren politische Rahmen.
Parallel zu Ofili zeigten drei Absolventen des Londoner Goldsmith College, die unter dem Namen „Bank“ firmieren, daß Jesus ein Jude war. Ein Schwarzer und eine Frau. Bei The Works rammten sie drei riesige Holzkreuze mit den geschundenen Wachskörpern zwischen Boden und Decke. Ein Naturalismus- schocker, der es in sich hatte, nicht zuletzt viel von einem blasphemisch volkstümlichen Katholizismus. YBA-Erfinder Damien Hirst, der bei Jay Jopling während des „art forum“ langweilige Knochenmänner in edle Stahlschränke sperrte, zeigt sich repräsentativ – ist es aber nicht.
Sarah Chilvers, 27, vermochte in der Galerie Johannes Zielke mit wenig Aufwand ihre Kunst großartig über Wand und Boden zu verteilen. Ein Bleistiftstrich gibt den Rahmen, Notizen auf Zettel hingeworfen, Zeichnungen oder ein paar Worte gehen in Miniobjekte aus Papier über. Komplizierte, lustige Reliefs sind die Folge.
Das erinnert an den Glasgower Künstler David Shrigley, dessen Fotografien in aberwitzige Zeichnungen überlaufen, die sich auf dem „art forum“ in der Koje der Kopenhagener Galerie Nicolai Wallner zu kleinen Bergen häuften. Oft plaziert Shrigley seine Zeichnungen auch in Szenerien, die er dann fotografiert.
Die britische Fotografie „On the Bright Side of Life“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst war dagegen nun wirklich keine Sensation. Nur von den im Stehen pissenden Frauen von Sophy Rickett können die Berliner offenbar nicht genug bekommen. Gab es eine Ausstellung, in der sie nicht gezeigt wurden?
Was aus Berlin in die Welt ging? Nach Kassel jedenfalls ein „Hybrid Workspace“ genanntes Fake-Unternehmen, das meistens still stand, wie man auf Nachfrage bei documenta-Besuchern erfuhr. Es sollte sogenannten alternativen Projekten ein öffentliches Forum geben. Das Sony-Logo begleitete dann die Dokumentation über illegale, papierlose Immigranten in einer Pariser Kirche. Natürlich sponsert Sony die nicht, sehr wohl aber den Hybrid Workspace. Soviel zur sozialen Komponente der documenta.
Von dort kam Hans Jürgen Syberbergs „Cave of Memory, 1997, in sechs Stationen“ in den Hamburger Bahnhof nach Berlin. Definitiv der blödeste „Film als begehbarer Raum“, den es gibt. Gibt's aber wahrscheinlich eh nur einmal, eine blöde Idee eben. Brigitte Werneburg
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