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Wand und BodenEtwas explodiert

■ Kunst in Berlin jetzt: Roman Signer, Flucht

Das Gespräch mit Barbara Weiss gestaltet sich einigermaßen schwierig. Schuld daran ist aber allein Roman Signers „Teppich mit Staubsauger“. Denn alle Minute fängt der unter einem roten Läufer verborgene Staubsauger mit höllischem Lärm zu saugen an. In diesem Moment ist man zum Schweigen oder zum Schreien verdonnert. Plötzlich teilt sich die Zeit in ein binäres Muster auf – Staubsaugerlärm oder kein Staubsaugerlärm. Mit einem recht geringen Einsatz an Mitteln erreicht Roman Signer zweifellos ein Maximum an Verhaltenseffekt und Wahrnehmungseffekt.

Nicht umsonst ist die Zündschnur das basale Medium seiner Kunst. Die brennende Schnur, die sich langsam ihrem Ziel entgegenfrißt, um in einem Bruchteil von Sekunden ihre ganze plastische Energie freizusetzen, ist der Urtypus dessen, was Roman Signer „Zeitskulptur“ nennt, einen erweiterten Begriff der Skulptur. Der Schweizer Künstler arbeitet dabei seit den frühen siebziger Jahren mit einem elementaren Material- und Gegenstandsrepertoire wie Erde, Feuer, Wasser und Luft oder Kisten, Fässern und Hockern, die durch ein plötzliches Ereignis oder auch einen langsamen Prozeß transformiert werden. Etwas fällt, explodiert, entleert sich. Da die künstlerischen Aktionen oftmals schon vor der Ausstellung abgelaufen sind, benennen die ausgestellten Objekte, die fotografischen Dokumentationen oder die Videoaufzeichnungen, die Zeitskulptur als ein wesentlich abwesendes Ereignis.

Valentineske Qualitäten bekommen Signers Kunststücke, wenn er die Unverhältnismäßigkeit von Mittel und Effekt umdreht. So sind in der Galerie Barbara Weiss vier rohe, mit blauen oder roten Farbklecksen besprühte Holztische zu sehen, deren Signatur sich dem HighTech-Spielzeug eines ferngesteuerten Hubschraubers verdankt, der die Farbe aufsprühte. Eine Fotoarbeit von 1983 hält fest, wie eine Minirakete Signer eine Wollmütze vom Kopf zieht. Manchmal beläßt er es auch bei der Androhung. „Treffpunkt“ ist eine Kiste, die unter der Decke hängt, würde man einen weißen Schalter am Boden drücken, löste das einen elektrischer Impuls aus, der die Schnur zum Schmelzen brächte, worauf die Kiste zu Boden fiele. Allerdings bleibt dies hypothetisch, denn der Ausstellungsraum mit „Treffpunkt“ ist nicht betretbar.

Bis 21.3., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Potsdamer Straße 33

Pogrom gegen Flüchtlinge, Hoyerswerda, 1991; Kirchenasyl, Neumünster, 1991; Asylzählung im Sozialamt, Lübeck 1992; Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber, Rostock-Lichtenhagen, 1992; Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien, Berlin 1992; Progrom gegen Flüchtlinge, Rostock-Lichtenhagen 1992; Protest gegen Asylbewerberheim, Goldberg 1992; Brandanschlag auf Asylbewohnerheim, Lübeck 1996; stenogrammartig rufen die simplen Filmstreifen auf acht quadratischen Tafeln die Flüchtlingsschicksale im wiedervereinigten Deutschland in Erinnerung: als harter Auftakt der Ausstellung „Flucht – 50 Millionen Menschen ohne Heimat“ im Kunstamt Kreuzberg.

Es geht um unser großes politisches Zukunftsthema, das uns im 21. Jahrhunderts noch mehr beschäftigen wird, als es das schon im ausgehenden 20. Jahrhundert tat. Um die Fakten noch einmal ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, entschlossen sich die Fotografen der Hamburger Agentur Signum, Andreas Herzau, Christian Jungeblodt, Russell Liebman, Michael Meyborg und Clive Shirley, zu einer weltweiten Bestandsaufnahme der unfreiwilligen Wanderungsbewegungen in den 90er Jahren.

Das Thema ist ein unliebsames, Europa fühlt sich bedroht, in Deutschland wächst die Hysterie. Politisch wäre es daher vielleicht klug gewesen, auch Bilder von den Camps in der Budapester und Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland auszustellen, um daran zu erinnern, wie schnell sich auch Deutsche in Flüchtlinge verwandeln können, erst kürzlich geschah es ja; und waren wir nicht lange Zeit überhaupt Weltmeister auch im Zeichen der Flüchtlingstrecks? (Indem wir sie erst verursachten, um schließlich selbst vertrieben zu werden.)

Freilich will „Flucht“ nun gerade keine didaktische Ausstellung sein. Das fotografische Panorama der weltweiten Dimension der Füchtlingsfrage wird in „Flucht“ von einer Ästhetik getragen, die vielleicht am treffendsten mit dem Begriff der fotojournalistischen Sachlichkeit benannt ist. Denn nicht allein der dokumentarische Gehalt der Bilder zählte für die Fotografen, die mindestens ebensoviel Nachdruck und Arbeit in deren bildästhetischen Ausdruck investierten.

Dabei erprobten die Signum- Fotografen die spezifische Essayistik der Autorenfotografie im globalen Maßstab. Negativ ausgedrückt: ihren Bildern fehlt das Plakative, das Grelle, das Pathos. Die Nähe zu den Flüchtlingen, gar die große Nähe, wurde von den Fotografen nur in alltäglichen Situationen gesucht, wo diese Nähe in das Porträt mündete, das seine Bedeutung dem abgebildeten Menschen und nicht dessen Status verdankt. Entsprechend ist das Flüchtingscamp auch ein Landschaftsbild, ohne freilich das Drama des gefährdeten, provisorischen Lebens an das Gewicht des Bildes selbst zu verraten.

Vielleicht hätte das eine oder andere Bild auch die größere Dichte des Reportagefotos vertragen, ohne daß der Verlust der fotografischen Autonomie drohte. Gleichzeitig ist es aber dieser Anspruch an die Autonomie der Fotografie, der dem Flüchtlingsleben in Ruanda, Bosnien, Afghanistan, Guatemala, Kuba, Liberia oder Tschetschenien sein je ganz eigenes Bild gibt. Darüber hinaus gelingt es Signum, die elegante Balance zwischen dem journalistischen, dokumentarischen Auftrag und dem Eigensinn der Bilder bis in deren Hängung durchzuhalten.

Bis 22.3., Di.–So. 12–18 Uhr, Mariannenplatz 2 Brigitte Werneburg

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