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Wand und BodenDas Leben ist eine Chatline

■ Kunst in Berlin jetzt: Richard Merkle, Philippe Parreno, Suzanne Lafont/Lorna Simpson/Miwa Yanagi

Während in Mitte die Böden frisch betoniert sind, steht man in Charlottenburg noch immer auf Parkett. Gediegen wirken auch die Räume der Galerie Achim Kubinski, die von Stuttgart via New York nach Berlin gekommen ist. Mit der Kunst ist es indes eine ganz andere Sache: Die Arbeiten von Richard Merkle sind geschickt mit Club-, Design- und Sozialsystemen verkoppelt.

Der in New York lebende Bildhauer operiert dabei aus dem Windschatten von neuer Geometrie und Konzeptkunst. Sein möbelartiges Raumobjekt „Flags & Targets“ zitiert beispielsweise den Pop-Artisten Jasper Johns und fügt sich doch in die momentan heftig vom Kunstbetrieb umarmte Chill-out-Ästhetik. Sparsam sind mit schillernder Seide zwei runde Holzkonstruktionen überzogen, auf die man sich setzen kann, um über die Farben zu meditieren. Sehr elegant sieht auch Merkles Verarbeitung von monochrom lackierten „Wandstühlen“ aus. Durch einen Stahlzug können die Einzelteile hochgeklappt werden, so daß sie wie Bilder an der Wand hängen. Wer möchte, kann die Flächen aber auch zu einem Winkeldreieck ineinanderschieben. Insofern verzahnen Merkles Möbel Bild und Raum ebenso wie soziale Plastik und coole Gestaltung. Für Kubinski sind es Objekte, die daran erinnern, „wie wir leben könnten, wenn sich Kunst verwirklichen würde, wenn sie funktionierte“. Er wird es wissen, schließlich muß er sie ja verkaufen.

Bis 6.5., Di.–Fr. 14–18, Sa. 10–14 Uhr, Leibnizstraße 59

Der Trend geht zum Service. In der Galerie Schipper & Krome kann man sich einen noirmäßigen Taiwan-Film anschauen, der noch nie im deutschen Kino lief. Die Sets sind geschmackvoll, die Menschen sehen edel aus, und die Fernsehgeräte, auf denen Tsai Ming-Liangs „Long Live Love“ parallel gezeigt wird, haben Breitwandformat und Stereosound.

Die Idee zu der Video-Installation stammt von Philippe Parreno, und sie ist ein konzeptueller Glücksgriff. Äußerst behutsam hat der Pariser Künstler die Arbeit so angelegt, daß man seine Intervention kaum bemerkt. Zunächst wurde der Film mit einem schwarzen Rahmen nachbearbeitet und perspektivisch zugespitzt. Außerdem wird er fünfmal von einem Trailer unterbrochen, der in rascher Bildfolge einige Dias nichtrealisierter Bauprojekte Jean Nouvels oder öde Straßenzüge zeigt. Die Aufnahmen sollen wiederum als Werbung für den „Noise Man“ dienen, der Geräusche der Umgebung angeblich in eine Melodie übersetzen kann.

Mit den wenigen Einsprengseln ändert sich die Story von „Long Live Love“ sehr gezielt: Aus einem Film über Schizophrenie, Beziehungsunfähigkeit und Tod wird nebenher eine Fallstudie in Sachen Immobilienhandel. Mit den sanften Unterbrechungen tritt die Architektur als Nebenschauplatz der Tragödie hervor, sie wird selbst zum Akteur. Obwohl Parreno die Stadt im Film nicht als Zeichen isoliert, bildet sie den visuellen Sound, der die Geschichte zusammenhält. Tatsächlich funktioniert der beworbene „Noise Man“ deshalb als Symbol für konkrete Veränderungen, die der Betrachter mit den Einblendungen assoziiert. Plötzlich klingt die verzweifelte Liebe im urbanen Raum nach – ohne jeden Ton, nur in den Bildern. Selbst mit dem Titel der Arbeit behält Parreno am Ende recht: „Listen to the picture“.

Bis 20.5., Di.–Fr. 12–18, Sa. 13–17 Uhr, Auguststraße 91

Früher lag Friedrich Loocks winzige Galerie Wohnmaschine an der Auguststraße, und das Haus war ständig voll. Jetzt hat er sich für ein paar Monate in den Hinterhof der Gipsstraße 3 zurückgezogen, weil er schon immer mal in großen, hellen Räumen große, schöne Bilder ausstellen wollte. Für die Ausstellung „architecture and the modern mask“ sind es trotzdem wieder allerlei handliche Formate – Video hier, Kontext dort –, und nur die beiden Fotos von Miwa Yanagi füllen eine ganze Wand aus.

Man muß sich die inszenierten Porträtaufnahmen der Japanerin wie eine Zauberwelt aus Mangas und Shopping Malls vorstellen. Miwas „Elevatorgirl House F1“ zeigt ein per Computer unendlich vervielfältigtes Fahrstuhlfräulein mit hübschem rotem Kostüm, Potthütchen und weißen Handschuhen. Demütig stehen ihre multiplizierten Persönlichkeiten in einer unendlichen Vitrinenflucht oder liegen melancholisch hingestreckt auf einer Rolltreppe, während hinter den Schaufenstern nun üppige Blumen angeordnet sind. Die püppchenhafte Steifheit wirkt bei Miwa grazil und doch cool, wie man es eben nur von japanischen Zeichentrickheldinnen kennt.

Dem Lob auf die Künstlichkeit setzt Suzanne Lafont im Foto-Ensemble „Le Defilée“ einen direkten Realismus entgegen. Nicht die Art der Darstellung soll vom Leben erzählen, sondern das Dargestellte selbst. Im verblichenen T- Shirt schreitet eine schnurzgewöhnliche Fußgängerin trist zwischen spröden Fotos von Betonmauern. Doch in den Fensternischen der Banlieue-Siedlung spiegelt sich immer noch ein wenig ausgefranste Natur. Letztlich sind Lafonts Stadtrandlandschaften intellektuell verfaßt, formal präzise und sehr französisch.

In ihrer Kritik am urban chic trifft sich die documenta-Teilnehmerin Lafont mit den cultural studies von Lorna Simpson. Die afroamerikanische Künstlerin arbeitet an Bezugsfeldern, die sich aus dem Alltag ergeben. In ihrem Video „call waiting“ ist es die totale Community der Telekommunikation: Das Leben ist eine Chatline. Wo aber permanent alle mit jedem connected sind, hängt der einzelne die meiste Zeit in der Warteschleife. In diesem Leerlauf zeigt Simpson vor allem die Gesten ihrer Figuren: Genervt dreht eine Asiatin am Telefonkabel herum, während die Verbindung unterbrochen ist, wütend fällt ein Hispanic im Streit zurück in seine Muttersprache. Das Netzwerk ist emotional aufgeladen und bleibt doch abstrakt. Das ist das Wunder der Systemtheorie.

Bis 13.6., Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–17 Uhr Harald Fricke

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