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Wand und BodenHängen Kritiker Alibert-Badezimmerschränke auf?

■ Kunst in Berlin jetzt mit Alexander Polzin, Ma.Ri. Brellochs, S.S.K.

Die „Abguß-Sammlung Antiker Plastik“ ist ein zauberhaftes Gruselkabinett. All diese Männerschönheit. Hinreißende, wohlproportionierte Gipskörper, kalkweiß gepuderte Musterexemplare, Zuckerbäckertörtchen allesamt. Diesen Raum hat sich also Alexander Polzin ausgesucht, um seine Skulpturen und Bilder auszustellen. Man muß sie zwischen all dem Gips erst einmal finden. „Penthesilea“, die Königin der Amazonen, ein aus Beton geschlagener Kopf, blutrot bemalt wie eine Trophäe. Oder der in die Horizontale gelegte grüne „Engel“, der so fragmentarisch ist wie die geschlechtslosen, nasenlosen, kopf- oder armlosen antiken Abgüsse, ein gefallener Engel, fürwahr. Diese Skulpturen sehen nach Drama aus. Doch dann sind da wiederum die „Zwei Schwestern“, in Beton gegossen, nicht bemalt, und die sind so rund, drall und archaisch, daß man der Spur des Dramas nicht mehr traut.

Mythentrunken ist das Ganze aber allemal. Polzins Bilder bestehen aus vielen Farb- und Wachsschichten, sie sind aufgekratzt und wieder versiegelt. Ihre geschichtete Struktur verweist tatsächlich auf Geschichte: „Karthago“ heißt ein Triptychon, das gleißend gelb an die berühmte Beschwörung einer Zerstörung erinnert. „High Noon“ dagegen ist eine Serie von schwarzweißen Zeichnungen auf Zeitungspapier, die sich numerisch an den dreizehn Häuserreliefs in der ehemaligen „Stalinallee“ orientiert. Der Showdown der Utopie als Showdown der Klassiker.

Bis 31.8., Do.–So. 14–17 Uhr, Schloßstraße 69b

Ganz anderes behauptet dagegen Ma.Ri. Brellochs in seinem „Diskurs 5“: „Kunst macht glücklich“, „Kunst macht leicht“. Ja, warum nicht? Jedenfalls macht Brellochs ausgestellte Kunst in der Galerie im Parkhaus noch eher glücklich als sein ausgelegter Text. „hec“ nennt sich der Diskurs 5, wobei das „e“ spiegelverkehrt geschrieben ist, was sich mit der normalen Computertastatur leider nicht wiedergeben läßt. „hec“ soll zwar nichts weiter bezeichnen als sich selbst, doch aufgemerkt: „Insofern eine Bedeutung im Sinne einer Lesbarkeit wie bei einem aus Buchstaben gebildeten Wort oder Satz vorenthalten wird, bekommt der Besucher bereits im Titel der Ausstellung den Hinweis, daß mit einem einfachen Lesen der ausgestellten Arbeiten, im Sinne eines einfachen Wiedererkennens von Gegenständlichem und der damit einhergehenden räumlichen Illusion kaum etwas gewonnen werden kann.“

Klingt anspruchsvoll, und doch bleibt erst einmal nur das einfache Hinsehen. Da sieht man tatsächlich Buchstaben im Raum verteilt, plastisch aus Metall geformt und bemalt. Meist mit einem hübschen Karomuster, aber auch mal mit einem nostalgischen Blumendekor, so daß das „e“ aussieht wie eine alte Hutschachtel. Ansonsten hat Ma.Ri. Brelloch Motive aus vorangegangenen Ausstellungen im Parkhaus und anderswo aufgegriffen und in seine Installation integriert. Den billigen Resopaltisch, der ein Holzfurnier imitiert, übernahm er von Juliane Duda, einen blauen Boden und den grauen Wandanstrich von Tatjana Fell und den billigen Perser, um den herum er eine Box aus Dachlatten und matter Plastikfolie gebaut hat, von Runhild Wirth. Alles, Bilder und Buchstaben, die Box mit der Spiegelleiste „Kunst macht leicht“ wie die Parkbank mit der Inschrift „Kunst macht glücklich“ und last, not least, die Videoloops, alles sieht ansprechend und proper aus. Verlangt aber bestimmt nicht nach einem close reading.

Bis 21.8., Mi.–So. 15–19 Uhr, Puschkinallee 5

Und nun? Nun noch einmal zur Förderkoje von Ralf Schmitt. Er stellt nicht nur, wie zuletzt berichtet, die Ausstellung der Ausstellung aus, sondern auch die Kritik der Kritik, indem er dem Publikum und der Presse gegenüber behauptet, den Alibert-Badezimmerschrank in seinem Kabuff hätten Marius Babias und Hans Ulrich Obrist aufgehängt. Haben sie aber gar nicht. Die Nachfrage bei den vermeintlich Ausstellenden klärte dies zwar etwas zu spät, aber doch auf. Alles Lüge also. Aber die ist eben auch Bestandteil der Konzeptkunst des Herrn Schmitt. Und seiner neuen Wege der Kunstvermittlung.

Es geht auch anders. Sammeln Sie Kunst oder S.S.K. heißt eine neue Einrichtung in der Linienstraße, die Joanna Kamm eröffnet hat, um die Kunst aus ihrer Feiertagsrolle zu retten und ihrer Grandiosität mit kleinen Preisen von 1 bis 1.000 Mark und Auflagenobjekten zu begegnen. Der Kunstkauf-Laden hat zwei Räume, die im Moment tatsächlich von Arbeiten und Besuchern überborden. An einem Tisch können die Mappen und Kataloge der gezeigten Künstler sowie aktuelle Ausgaben von Kunstzeitschriften eingesehen werden. Eine Kunstvideosammlung ist im Entstehen begriffen. Über der Spüle hat Karen Koltermann eine Filmprojektion eingerichtet, „Instant Ocean“ genannt. Im Wasser des Spülbeckens sieht man Leute im Vierer- oder Fünferpack auf großen weißen Luftmatratzen im Wasser dahinpaddeln. An der Wand daneben hängen Streifenbilder von 4000. Der Künstler hat die Farbe auf einen Karton aufgetragen, der selbst mit dem Streifen „Buy 2 Get 1 Free“ bedruckt ist. Und so ist es auch. Je ein Unikat ist für 100 Mark, drei Bilder aber sind für nur 200 Mark zu haben. Daneben sind Fotoarbeiten von Anne K. Jander zu sehen. „Taipai“ zeigt nächtliche Hinterhöfe, in denen allerlei bunte Plastiktonnen auffallen. Das nächtliche „Hamburg“ dagegen glänzt mit den Glasfassaden von Bürogebäuden, leeren Parkplätzen und Schnellstraßen. „Hamburg“ gibt es dann noch einmal in Öl auf Nessel gemalt. Die Fotografien erwecken den Eindruck eines Tatorts, atmosphärisch erinnern sie an Filmstills, an Aufnahmen von möglichen Außenmotiven. Tatsächlich beschäftigt sich die Künstlerin mit Film, eine Serie aus Chicago fotografierte sie von einem ihrer Super-8-Filme ab, und auch in dem kleinen Gemälden stammt die Maltechnik aus dem Trickfilm. Anna K. Jander malt für eine Trickfilmfirma Hintergründe. Gewitzt die weißen Papierschnitt- Unikate von Gabriele Basch oder Stefanie Grebes Fotokacheln „Neuköllner Idole“, worunter auch ein Bullterrier fällt, oder Beate Daniels Zeichnungen: Das Konzept, die Grenzen zwischen „Galerie“- und „Club“-Kunst aufzulösen, geht auf.

Mi.–Sa. 14–20 Uhr, Linienstraße 158 Brigitte Werneburg

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