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Wand und BodenEine Beleidigung für Cineasten

■ Kunst in Berlin jetzt: Observer, Kellerbilder, Fotokunst aus Frankreich

Lassen wir es dahingestellt, ob Künstler „seit je die Funktionsweisen und Verletzungen gesellschaftlicher Systeme“ beobachten: Das ist diese Sorte newspeech, mit dem wir armen Kritiker überzogen werden, um in Ausstellungen wie observer/secret services zu gehen. Ich dachte mir: Adlershof, das ist schön weit weg, da fahre ich mal hin. Die Alte Schule, ein symmetrischer Flügelbau aus Backstein, durch einen Vorgarten, ehemals Schulhof, zurückversetzt von der Dörpfeldstraße (Nr. 56), sieht sehr englisch aus. Die gründliche Instandsetzung als Bibliothek (ein Anbau), Bürgertreff und Ausstellungshaus ist im besten Sinne deutsch. Die Ausstellung selbst, im Grau und Blau und Silber der technischen Medien, würde jedem etablierten Kunstverein zur Ehre gereichen.

Das Geheimdienstthema ist einer Arbeit von Peder Iblher entliehen, dessen Infotafeln das Treppenhaus hochsteigen und über ein in den sechziger Jahren durch die USA entwickeltes Roboterfahrzeug berichten. Dutzende von den Dingern hätten heimlich den Ostblock bereist, alle zwei Sekunden ein Bild an einen Satelliten funkend. Dann folgt ein Diakarussell mit achtzig Motiven: Baracken, Industrien, tristen Straßen, Brücken. Quadratische Bilder aus der Igelperspektive, verblüffend in ihrer Verschränkung von simpler Poesie und karger Doku-Direktheit. Man würde davon mehr sehen wollen, vielleicht sogar ein fettes, gut gedrucktes Buch. Sollte Iblher den ganzen Kram erfunden haben, wäre die fotografische Reise durch die alte Sowjetunion dennoch eine Sensation; von der Kunst gewissermaßen abgesehen.

Technisch überwältigend ist der Raum von Harco Haagsma, einem Niederländer. Von der Decke hängt eine Linse an einer Art Rückgrat, die den Besucher in ruckigen Bewegungen fixiert und verfolgt; das Ergebnis kann man auf vier Monitoren sehen. Die raupenartige Dauerneugier des Geräts bekommt nach wenigen Minuten vertraute Züge, geschlechtliche Rituale wären nicht ganz ausgeschlossen.

Medien hin oder her, am Ende geht es immer darum, wer wir sind und wer wir sein könnten. Sehr inspirierend ist Dorit Margreiters Schreibtisch-Installation, auf der Konzepte für TV-Serien ausgelegt sind, noch nicht wirklich Treatments, sondern eher biographische Profile potentieller Seriencharaktere. Diese allerdings basieren auf Gesichtern von Leuten, die offenbar keine Schauspieler sind, zu sehen am Bildschirm mit Screentests und in ultrakurzen Spielszenen, gesampelt zu gesampelter Serienmusik. Eine Soap-opera über die Eitelkeit von KünstlerInnen etc., dargestellt durch sich selbst: warum eigentlich nicht? Ich glaube, ich würde mich zuschalten (müssen).

Viel visuelle Technik bringt auch immer einen Hauch von falscher Coolness, was für die Ausstellung in Adlershof – „Regie“: Ute Tischler und Thomas Sakschewski – ebenfalls gilt. Um so überraschender dann ein extrem konzentriertes Werk in einem schmalen Raum: auf einem mit Transparentpapier semiisolierten zweiflügeligen Fenster sieht man ein Propellerflugzeug aufsteigen. Als Klang nur das Klicken zweier Diaprojektoren. Die Intensität der weichen Bewegung in Phasen (oder durch Phasen) kommt irgendwie aus der Berliner Romantik. Worauf auch immer Dörte Meyer hinauswill: es stimmt.

Bis 15.9., dann Finissage ab 20 Uhr. Mo., Do., Fr. 11–19, Di. 11–17, So. 14–19 Uhr

Wer das Sommerloch persönlich kennenlernen will, muß sich die Keller Bilder bei Kunst Mitte, Auguststraße 17 ansehen. Die kleinen Formate mehr oder weniger ungegenständlicher Malerei im fahlen Licht des notdürftig geweißten Kellers sehen mehr als trist aus. Dem Streifenbild von Anke Paola Neumann fehlt die Sorgfalt von hard edge, die kleinteiligen Paraphrasen auf das Planquadrat von Manhattan durch Claudia Mitzinneck wirken völlig verkrampft. Interessanter die Textilmotive Stephanie Jünemanns auf hartem Kunststoff, obwohl mir nicht klar genug wird, ob nun das Häßliche gekitzelt werden soll oder nicht. Von Claudia Theel, auf den Spuren von Mustern und ihren Varianten, findet man weit bessere Arbeiten im Katalog, der oben ausliegt. Insgesamt sechs Malerinnen, Jahrgang 1962 und später: Fehlt es an Schulung, fehlt es an Mut?

Galerie Klaus Fischer/Kunst Mitte, bis 31.9., Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr

Nach der holländischen und der chinesischen Fotografie kommt nun im Neuen Berliner Kunstverein die zeitgenössische französische. Wie zu erwarten, ist sie durch und durch intellektuell, was mal gegen sie spricht und dann plötzlich für sie. Ich besuchte die Ausstellung in der letzten Phase des Aufbaus und konnte beobachten, welche Mühe Alexander Tolnay und Régis Durand damit hatten, ein schwarzweißes Tableau mit zehn Motiven von Isabelle Arthuis (aus Platzgründen) um zwei zu reduzieren. Es liegt nicht an den Bildern: von der Straße, vom Meer, Windhunde im Scherenschnitt; sondern an ihrem Zusammenhang.

Welche Ironie, daß es ausgerechnet in der als Fotografie bezeichneten Kunst gar nicht mehr um die Objekte geht, sondern um die Verfahren, zu ihnen zu gelangen oder sie zu negieren. Am deutlichsten vielleicht bei Bruno Serralongue, der sich auf Korsika als Zeitungsreporter verdingte und seine Klischees in die Kunstwelt zurückträgt. Zwei Tendenzen, bei all dem Nachdenken: zum fotografischen storyboard, wie bei Florence Paradeis, was für Cineasten auf eine piktoriale Beleidigung hinausläuft; und zum dunklen Raunen über mysteriöse Dinge, wie bei Eric Poitevin mit seinen Schädeln, die aussehen wie Helme, gefunden von Nikolaus Lang. Patrick Tosanis fotografische Pädagogik ist in sich stimmig, interessiert mich aber immer noch nicht. Der Schocker ist das Plakat von Jean-Luc Mouléne, ein Siebdruck, der die Akuratesse des höfischen Akts – Ingres, Boucher – auf das Format der Werbung appliziert. Du kannst die Frau begehren, ja, aber ihr Name ist Kunst.

Chausseestraße 128/129, Di.–Fr. 12–18, Sa./So. 12–16 Uhr Ulf Erdmann Ziegler

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