■ Waltraud Schoppe antwortet auf Jutta Oesterle-Schwerins Vorschlag, eine feministische Partei in Deutschland zu gründen: Bitte kein Sektierertum!
„Was folgt nach dem Frauenstreik?“ fragt Jutta Oesterle- Schwerin in einem Debattenbeitrag in der taz vom 8.4.94. Vielleicht sind solche symbolischen Maßnahmen wie ein Frauenstreiktag wichtig. Sich als gemeinsam Handelnde zu begreifen, kann Mut und Ausdauer stärken. Über symbolische Aktionen läßt sich aber auch streiten, denn sie können auch Politik-Ersatz sein.
Wichtig ist mir, wie Jutta Oesterle-Schwerin die Haltung von Frauen beschreibt und damit vereinnahmt, was sich nicht vereinnahmen lassen will. Sie sieht eine Ablehnung von Frauen gegenüber Parteien und eine Abscheu gegenüber Parlamentarismus und Regierungsbeteiligung. Parlamentarismus und Regierungsbeteiligung sind nach ihrer Aussage einzig ein korrumpierendes Streben nach Pfründen. Das ist Populismus auf die Spitze getrieben und im Kern demokratiefeindlich!
Anstatt die negativen Seiten unserer Demokratie an Machenschaften ganzer Seilschaften und am Machtmißbrauch einzelner Menschen zu messen, werden gleich die Institutionen der demokratischen Gesellschaft und damit die Demokratie als solche in Bausch und Bogen ad acta gelegt. Für Teile der Frauenbewegung liegen offensichtlich Feminismus und Nihilismus eng beieinander.
Wir müssen nicht darüber streiten, daß auch in der Demokratie zweifelhafte Entscheidungen getroffen werden, Fehler sind auch dort inhärent. Auch die Macht der Demokratie hat offensichtlich ihre Grenzen, sie ist eben nicht per se gut, sondern muß immer wieder neu erarbeitet werden.
Ich bin in puncto Demokratie empfindlich. Frauenemanzipation hat für mich nur eine Chance, wo Meinungsfreiheit herrscht, wo Probleme öffentlich verhandelt werden können, wo ein Mehrparteiensystem existiert und Menschenrechte Geltung für alle Menschen haben. Wenn eine feministische Partei gewünscht wird, na bitte. Aber zu glauben, Wahrheit und Klarheit für sich alleine gepachtet zu haben, ist nicht nur antidemokratisch, sondern führt ins Ghetto.
Ein zweiter Punkt ist mir wichtig: Zum Teil formulieren Frauen Frauenpolitik immer noch einzig aus der Opferperspektive. Ohne Zweifel werden Frauen Opfer von Männergewalt, werden offen oder subtil im Erwerbsleben diskriminiert, partizipieren aufgrund ihrer spezifischen Biographie nicht ausreichend an den sozialen Sicherungssystemen. Auch die gewachsene Teilhabe einiger Frauen an exponierten Positionen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Frauen immer noch in der zweiten Reihe stehen.
Aber die Opferperspektive verhindert die Erkenntnis, daß Frauen, egal an welchem Ort sie stehen, immer auch gestaltend am gesellschaftlichen Prozeß mitwirken. Starre Geschichtsauffassungen, wie sie in den Bildern von potentiellen Vergewaltigern und korrumpierenden, männerdominierten Institutionen auf der einen Seite und ausgebeuteten Frauen auf der anderen Seite zum Ausdruck kommen, korrespondieren mit einer Politik der Heilsversprechungen: Wenn die Pornographie verschwunden ist, wenn das Patriarchat abgeschafft ist oder, wie in diesem Fall, wenn eine feministische Partei erst da ist, dann wird alles anders! Die Politik der Schwarz-Weiß-Bilder selektiert streng in Gut und Böse. Wehe, eine wagt, den Konsens zu stören. Katharina Rutschky, die die Professionalität einiger Beratungskonzepte bei sexuellem Mißbrauch anzweifelte, hat gleich „die Seiten“ gewechselt. Sie wurde getreten, beschimpft und gewürgt, bevor sie überhaupt auf dem Berliner Kongreß ihren Beitrag halten konnte. In einem Land, in dem die freie Meinungsäußerung grundgesetzlich garantiert ist, hat dieser Vorgang unter den Frauen wenig Resonanz gefunden. Denn wer nicht hören will, muß fühlen, oder?
Das Dilemma bundesrepublikanischer Frauenpolitik ist weniger auf das Fehlen eines porentiefen Feminismus zurückzuführen als vielmehr auf das Scheitern inhaltlicher Konzepte. Dazu gehört für mich das Konzept der Gleichstellungspolitik, das einige Denkfehler aufweist.
Wer glaubt, durch detaillierte Regelungen Frauen in Ämter und Positionen hieven zu können, irrt. Allemal entscheidet im öffentlichen Dienst das Parteibuch mit, und die Erfahrung lehrt, daß an irgendeiner Stelle der Republik immer noch ein Mann überwintert, der nach jahrelangem Placken für die Partei endlich mit einer Position belohnt werden muß. Außerdem negiert diese Vorstellung die strukturelle Unterschiedlichkeit der männlichen und weiblichen Lebensstile. Auf der Grundlage ungleicher Lebensbedingungen aber läßt sich keine Gleichstellung schaffen.
Länder mit inkraftgetretenen Gleichstellungsgesetzen beweisen mit ihren nackten Zahlen eine bescheidene Bilanz. Nun habe ich gar nichts gegen solche Gesetze. Ich beklage den fehlenden politischen Willen, sie konsequent umsetzen zu wollen. Ähnlich ist es mit den Quoten. Gerade wenn viele Frauen ihre berufliche Arbeit für die Kinder unterbrechen, kann die Quote als ein Mittel die Wiedereingliederung erleichtern. Nur, wer sich mit der Quote schmückt, muß sie auch durchhalten. Jutta Oesterle-Schwerin und andere hatten im letzten Jahr ein sogenanntes Quotierungsgesetz vorgelegt, das die Gesellschaft von oben bis unten korrekt durchquotiert. Aber was nützt das, wenn die Erwerbsarbeitsplätze dramatisch rarer werden?
Wir leben in einer epochalen Umbruchsituation. Weltweit erleben wir eine Umverteilung von Arbeit. Sicherheiten schwinden, weil traditionelle Bindungen zerbrochen sind. Diese Zeiten des Umbruchs bedeuten aber nicht nur Abschied, sondern bieten auch Chancen für etwas Neues. Kreativität und Gestaltungswille ist vonnöten. Menschenrechte, dazu gehört eben auch die Gleichberechtigung, müssen durchgesetzt werden, von denen man nur eine Ahnung bekommt, wenn man der Empathie mächtig ist.
Es ist die Zeit, zu verhandeln. Dabei sollten die Frauen einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen den Geschlechtern fordern. Einen Vertrag, der die Verantwortung zwischen den Geschlechtern neu verteilt. Der Partizipationen der Frauen dort garantiert, wo sie immer noch oder immer wieder in der zweiten Reihe stehen. Das ist der Weg, den ich sehe, und nicht feministischer Separatismus.
Am heutigen 16.4. findet in der Gesamthochschule Kassel das 4. bundesweite Treffen der Streikfrauen statt.
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