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Walter Jens die Leviten gelesen

■ Die CDU mobilisiert die Zweifler im Streit um die Berliner Akademien der Künste

Berlin (dpa/taz) — Heftigen Angriffen wegen des geplanten Zusammengehens der beiden Berliner Akademien der Künste stellten sich am Mittwoch abend im Reichstagsgebäude die beiden Präsidenten Walter Jens (West) und Heiner Müller (Ost). Anwesend waren unter anderen die Autoren Christoph Hein und die aus der DDR in den Westen übergesiedelten Kollegen Rainer Kunze, Günter Kunert, Hans-Joachim Schädlich und Chaim Noll, der Komponist Frank-Michael Beyer sowie die Malerin und Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Die von der CDU initiierte Veranstaltung wurde von deren kulturpolitischem Sprecher Uwe Lehmann-Brauns moderiert.

Er vertrat die Ansicht, daß „selbst ein zur Vollziehung bereiter Gesetzgeber“ an einer Sanktionierung der En-bloc-Übernahme der Ostberliner Akademiemitglieder „aus rechtsstaatlichen Gründen gehindert“ wäre, „abgesehen davon, daß eine parlamentarische Mehrheit dafür auch fraglich ist“. Der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky plädierte für eine Urabstimmung unter allen Mitgliedern über die Frage.

Ein sichtlich erregter, aber auch resigniert klingender Heiner Müller, der von einer „Hetzstimmung“ in dieser Veranstaltung sprach, meinte, der Senat solle nun entscheiden: „Für uns gab es überhaupt keine andere Möglichkeit. Ich habe zwei Jahre meines Lebens verbraucht, um die Ostberliner Mitglieder für Neuwahlen zu gewinnen.“ Die Ergebnisse würden ihm auch nicht alle gefallen, aber es sei eine geheime Wahl gewesen. Eine individuelle Zuwahl dieser Mitglieder in die Westberliner Akademie wäre „eine Beleidigung der Mitglieder“, nachdem sie sich zu einer Neuwahl bereit erklärt hätten.

Auch Jens betonte, daß die Akademie getan habe, was ihr möglich gewesen sei, und wies Vorwürfe, es sei ein „Putsch“ gewesen, als absurd zurück. Jeder Schritt sei mit der verantwortlichen Kulturbehörde abgestimmt worden. Er wäre dankbar, wenn ihm jemand einen Weg zeigen würde, „der niemandem einen Gesichtsverlust zumutet“, was Günter Kunert mit dem Einwurf konterkarierte, es seien die Mitglieder der Ostberliner Akademie, „die kein Gesicht mehr haben, weil sie es schon vor Jahren verloren haben“. Walter Jens kündigte an, daß er zusammen mit Müller am 31.März mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker über die Situation sprechen werde, in Berlin.

Christoph Hein räumte ein, daß die jetzige Lösung auch für ihn nicht die beste sei, aber er habe bisher auch keine ernsthaften Alternativen gehört, die beide Seiten befriedigen würden. Rainer Kunze, der wie Kunert seinen Austritt aus der Westberliner Akademie erklärt hat, berichtete von früheren „unwürdigen Interventionen“ Ostberliner Mitglieder in der Westberliner Akademie „mit dem Ziel, die Akademie stärker zu ideologisieren und zu instrumentalisieren“. Kunert sprach von einem „unmöglichen Koppelungsversuch“ und wandte sich gegen ein „Zusammenfegen und Hineinschaufeln“ von Mitgliedern. Jens werde mit dieser Lösung nicht froh werden, weil die Auseinandersetzung weitergehen werde über die Grenzen Berlins und Deutschlands hinaus.

Schädlich meinte, der Hauptgrund gegen eine En- bloc-Übernahme seien „die politischen Bedingungen der SED-Diktatur für die Mitgliedschaft in der Ostberliner Akademie“. Dies schließe „eine Pauschalreise in die Westberliner Akademie aus“. Der Autor Chaim Noll meinte, es werde vergessen, „was die DDR-Akademie eigentlich war: ein Organ des Ministerrates der DDR, also ein Teil des Staatsapparates“. Wer Mitglied dieser Akademie war, habe sich auch zu der Satzung bekennen müssen, die sich „gegen den imperialistischen Kulturverfall in allen Formen“ gewandt habe. Auch Bärbel Bohley vertrat die Ansicht, die DDR-Akademie sei „ein Instrument der Macht“ gewesen.

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