: Walk their dogs
Dieser irische Dichter ist erstmals auf Deutsch zu entdecken: Der Band „The Visible World“ bietet Gedichte von Gerald Dawe
Es wurde ja auch Zeit, dass er ins Deutsche übersetzt wurde: Gerald Dawe ist einer der wichtigsten zeitgenössischen irischen Dichter. Er kam 1952 in der nordirischen Hauptstadt Belfast auf die Welt, ging 1972 als Dozent für Englisch an die Universität im westirischen Galway, seit 1988 lehrt er am Trinity College Dublin. Nebenbei schreibt er Literaturkritiken, die vor kurzem gesammelt erschienen sind.
Zwischen 1978 und 2003 hat er sechs Gedichtbände veröffentlicht. Eine Auswahl daraus liegt jetzt in der deutschen Übersetzung von Ní Gudix vor. Dankenswerterweise enthält die Ausgabe auch die englischen Originaltexte. Dawe kommt in allen Gedichtsammlungen immer wieder auf das Thema Nordirland zurück. „The Lundy’s Letter“, das 1987 als zweites Buch erschien, bezieht sich zum Beispiel auf Robert Lundy, der als Gouverneur von Derry die Stadt den Truppen des katholischen Königs James II. kampflos ausliefern wollte und bei Nordirlands Protestanten deshalb als Verräter gilt.
In „Sunday School“ von 1991 beschäftigt sich Dawe mit seiner Kindheit und Jugend in Belfast. Das Titelgedicht seiner bisher letzten Sammlung, „Lake Geneva“ aus dem Jahr 2003, enthält Referenzen an Henry James’ „American Girl“, springt aber ins Belfast der Siebzigerjahre, mit einem Mord, verbarrikadierten Geschäften und schwerbewaffneten Polizisten, um dann mit Byron und Shelley an den Genfer See zurückzukehren. Die Parallele zu Van Morrison liegt auf der Hand. Beide besuchten die Orangefield-Schule, beide arbeiten gerne mit Anspielungen, und Van Morrison hat das Lied „Goin’ Down Geneva“ geschrieben.
Die Übersetzung des Gedichts ist etwas zu salopp. Während es im Englischen „where the good people walk their dogs“ heißt, wird daraus auf Deutsch: „… wo die Haute Bourgeoisie ihre Tölen Gassi führt.“ Und „horses“ werden zu „Gäulen“, ein „history man“ wird zum „Geschichtsfuzzi“. Ansonsten aber kommen Dawes schnörkellose Sprache, seine genaue Beobachtungsgabe und seine Prägnanz auch in der Übersetzung zum Tragen.
Das Vorwort von Terence Brown, Professor für angloirische Literatur am Trinity College Dublin, hätte man sich sparen können. Brown verzapft auf knapp vier Seiten jede Menge Unfug. „Das Belfast, in das Gerald Dawe 1952 hineingeboren wurde, war in jeder Hinsicht eine recht ordentliche, fortschrittliche Gesellschaft“, schreibt er. „Mithilfe ihrer langen Tradition im Schiffs- und Maschinenbau hatte sich die Stadt einen Namen als Industriezentrum gemacht, und auf diesem technologischen Vorsprung fußte auch seit jeher der Stolz der regionalen Arbeiterschaft.“ Fortschrittlich? Haben sich die Bürgerrechtler, die für gerechte Job- und Wohnungsvergabe sowie für gleiches Wahlrecht kämpften, geirrt? Der „Stolz der regionalen Arbeiterschaft“ war protestantischer Stolz, denn Katholiken wurden aus der Werft Harland and Wolff, wo die Titanic gebaut wurde, vertrieben, viele wurden ermordet.
Browns Analyse des Nordirlandkonflikts ist ebenso abenteuerlich. Krieg, so meint er, bedeute den Zustand des Gespaltenseins, der „auf einem dermaßen gespaltenen Kontinent überall gleich aussieht, ob nun Sinn Féins Nationalisten gegen Ian Paisleys Unionisten, Griechen gegen Türken oder Arier gegen Juden kämpfen“. RALF SOTSCHECK
Gerald Dawe: „The Visible World – Die sichtbare Welt. Aus dem Englischen von Ní Gudix. Morgana Verlag, Leipzig 2007, 10 Euro