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Waigels vorauseilender Ungehorsam

■ Finanzminister schützt Hausbesitzer vor der Verfassung

Berlin (taz) – Theo Waigel will offensichtlich auch künftig nicht auf Streit mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verzichten. Während er durch das Kruzifix- Urteil noch überrascht wurde, versucht er den heutigen Karlsruher Richterspruch zur Besteuerung von Grundeigentum bereits im Vorfeld zu unterlaufen. Von Fachleuten wird damit gerechnet, daß die Belastung von Boden und Gebäuden in der Erbschafts-, Grund- und Vermögenssteuer als unangemessen niedrig angesehen wird. Doch schon seit Wochen verspricht Theo Waigel: Die Belastung der GrundeigentümerInnen soll nicht steigen, egal wie das Karlsruher Urteil lauten wird.

Im Mittelpunkt des Verfassungsstreits stehen die längst überholten „Einheitswerte“ von Grundstücken, die der Besteuerung zugrunde liegen. In der Alt- BRD wurden sie zur Schonung der überlasteten Steuerbehörden schon seit 1964 nicht mehr neu festgesetzt. Zuletzt erfolgte 1975 eine pauschale Erhöhung um 40 Prozent. In den neuen Ländern werden sogar noch die Einheitswerte von 1935 herangezogen, korrigiert um Zuschläge von 100 bis 600 Prozent. Nach einer Untersuchung des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 1991 betragen diese Einheitswerte heute nur noch 10 bis 20 Prozent des tatsächlichen Marktwertes. Es muß also nur maximal ein Fünftel des wirklichen Werts eines Grundstücks versteuert werden.

Zahlreiche BürgerInnen und Finanzgerichte hatten sich nun in Karlsruhe darüber beschwert, daß andere Vermögensarten nicht mit einer derartigen Vorzugsbehandlung rechnen könnten. Dies sei ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Mit entsprechenden Klagen hatte sich Karlsruhe bereits 1993 befaßt, damals war allerdings aus formalen Gründen eine Entscheidung vertagt worden. Diesmal dürfte es nun wirklich zu einem Machtwort des BVerfG kommen.

Als die Unruhe unter HäuslebesitzerInnen und potentiellen ErbInnen immer größer wurde, versprach Finanzminister Theo Waigel: „Selbst wenn Karlsruhe fordert, die alten Wertansätze zu aktualisieren, soll der Staat daran nicht verdienen.“ Durch eine Erhöhung von Freibeträgen oder die Absenkung von Steuersätzen soll ein möglicher Richterspruch „aufkommensneutral“ neutralisiert werden.

Nur: wenn sich unter dem Strich für die GrundstückseigentümerInnen gar nichts ändern soll, dann könnte sich das Verfassungsgericht seinen heutigen Auftritt auch sparen. Oder will Waigel nun die Kapitalbesteuerung auf ähnlich niedriges Niveau absenken? Auch so könnte eine Gleichbehandlung der verschiedenen Vermögensarten erreicht werden, finanzieren könnte Waigel das aber kaum. Christian Rath

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