: Waigel wiegelt Tschechen auf
■ Die Prager Regierung ist sehr erbost über die bayerisch-sudetendeutschen Heimatrechtsansprüche
Nürnberg/Prag (AP/AFP) – Noch letzte Woche hatte der tschechische Ministerpräsident Václav Klaus das tschechisch-deutsche Verhältnis getestet und für „sehr gut“ befunden. Inzwischen sieht er das anders: Auf dem Sudetendeutschen Tag in Nürnberg hatten am Samstag die beiden CSU-Spitzenpolitiker Theo Waigel und Edmund Stoiber die Anerkennung des Heimatrechts, eine Verurteilung der Vertreibung und einen direkten Dialog mit den Sudetendeutschen gefordert. Und damit große Verärgerung bei der tschechischen Regierung hervorgerufen. Klaus sagte am Sonntag, die Äußerungen von Finanzminister Waigel seien „unangemessen und deplaziert“. Er sei „nicht bereit, solche Äußerungen aus dem Mund eines derartig wichtigen Vertreters der deutschen Bundesregierung zu hören“. Bonn müsse viel mehr als Prag in bezug auf die Weltkriegsereignisse Zurückhaltung zeigen.
Waigel wies gestern diese Vorwürfe eilig zurück. Die Kritik sei nur mit den bevorstehenden Wahlen und der innenpolitischen Lage in Tschechien zu erklären. Er habe in einer „wohlabgewogenen Rede“ lediglich gefordert, daß Unrecht und Verbrechen an Deutschen nicht relativiert werden dürften. Die SPD hat inzwischen Bundeskanzler Helmut Kohl aufgefordert, die „Zumutungen“ aus München zurückzuweisen.
Waigel und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hatten zuvor auf dem Pfingsttreffen vor 10.000 Sudetendeutschen davor gewarnt, die geplante deutsch-tschechische Regierungserklärung zur Aussöhnung zu verabschieden, ohne auf die Belange der Vertriebenen Rücksicht zu nehmen.
Waigel verlangt als Voraussetzung für eine endgültige Aussöhnung, daß Prag das Heimatrecht der Vertriebenen anerkennt und so schnell wie möglich direkte Gespräche mit ihnen aufnimmt. Es sei an der Zeit, das Unrecht zu heilen. „Deshalb unsere klare Forderung an die tschechische Seite: Nennen Sie die Geschehnisse vor fünfzig Jahren beim richtigen Namen. Nicht Aussiedlung, Abschub oder Transfer: Vertreibung fand statt!“ rief Waigel in Nürnberg. „Bekennen Sie sich zu den Verbrechen, die Tschechen an Deutschen begangen haben! Ein Wort des Bedauerns wäre gleichzeitig ein weiteres Stück Annäherung der Tschechischen Republik an den europäischen Standard.“
Klaus hat diese Forderungen zurückgewiesen. Prag lasse sich nicht darüber belehren, was Rechtsordnung und Rechtsstaat bedeuteten. Er sei sehr überrascht, daß von Tschechien verlangt werde, sich heute mit Bedauern über den Zweiten Weltkrieg zu äußern. „Ich habe das Gefühl, daß gerade die deutsche Seite über dieses ganze Ereignis sehr leise sprechen sollte“, sagte Klaus.
Stoiber hatte davor gewarnt, die deutsch-tschechische Regierungserklärung „klammheimlich“ hinter dem Rücken der Vertriebenen festzuschreiben: „Wenn einer glaubt, daß man so Politik machen könnte, dann würde er gewaltig auf die Schnauze fallen, denn das würde München nicht mitmachen.“
Am Freitag hatte der tschechische Außenminister Josef Zieleniec die baldige Einigung auf eine deutsch-tschechische Grundsatzerklärung zur Aussöhnung angekündigt. Der Streit um diese sogenannte Schlußstrich-Erklärung könne „in einigen Monaten“ beigelegt sein. Seiten 5 und 10
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