Wahltaktik und neue Einsichten : Frankreich: Linke und rechte Wahloptionen
VON RUDOLF BALMER
Der französische Innenminister und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy hat mehrere Probleme. Das erste: Seit den Krawallen in den Pariser Vorstädten gilt er als Vertreter einer repressiven Ordnungspolitik. 60 Prozent der Jungen sehen Sarkozy als eine Gefahr. Sein Versprechen, mit hartem Durchgreifen für mehr Sicherheit zu sorgen, kommt vor allem bei den älteren Bürgern an.
Ein weiteres Problem: Bevor Sarkozy aber bei der Konkurrenz auf Stimmenfang gehen kann, muss er erst einmal die bürgerliche Rechte hinter sich sammeln. Den überzeugten Konservativen und Liberalen versprach er eine Rechtspolitik „ohne Komplexe“. Er will das neue ideologische Selbstwertgefühl der französischen Rechten verkörpern, diese brauche sich nicht länger zu „schämen, nicht links zu sein“. Dieser Minderwertigkeitskomplex existiert. Die engagierten Intellektuellen im Pariser Quartier Latin hatten meist nur Verachtung für die reaktionäre Rechte.
Doch das vielleicht größte Problem heißt Chirac. Nicht etwa weil der Staatschef nach zwölf enttäuschenden Jahren im Amt ernsthaft an eine Wiederwahl denkt. Sarkozy will auf keinen Fall als Chiracs Nachfolger und politischer Ziehsohn dastehen. Mit der politischen Kontinuität als Programm lässt sich keine Wahl gewinnen. Darum predigt Sarkozy „la Rupture“, das heißt einen Bruch und eine Wende, einen Konservativismus mit Herz.
Sicher, im Visier hat er den Wohlfahrtsstaat. „Die Freiheit muss die Regel sein, das Verbot die Ausnahme.“ Das dekliniert er am Beispiel der 35-Stunden-Woche durch: Wer mehr verdienen will, muss die „Freiheit“ haben, mehr zu arbeiten. Auf seinem Internet-Blog zeichnen sich andere Schwerpunkte seines Programms ab: Förderung des Wohneigentums statt Sozialwohnungsbau oder Abschaffung der Erbschaftssteuer. Doch als Erzliberaler im Stil von Margret Thatcher oder Ronald Reagan sieht Sarkozy sich nicht, sondern verweist auf sein soziales Gewissen: „Der soziale Graben ist zu einer sozialen Desintegration geworden“, lautete seine Diagnose. Noch im Juni prangerte er die „Schurken-Bosse“ an, die sich mit unverdienten Aktienoptionen bereichern. Man erinnert sich auch, wie er 2004 als Wirtschaftsminister in alter Manier bei der Industrieheirat zwischen Sanofi und Aventis, bei der Teilnationalisierung von Alstom und zugunsten einer Preiskontrolle in den Supermärkten intervenierte.
So lässt er sich alle Optionen offen. In seinem engsten Mitarbeiterstab hat er links den jetzigen Sozialminister Jean-Louis Borloo und rechts den liberalen Ex-Erziehungsminister François Fillon. Dass letztlich „Wahlversprechen ohnehin nur jene verpflichten, die daran glauben“, hat Sarkozy von einem Meister der Demagogie gelernt, bei dem er nun schon dreißig Jahre in die Lehre geht: Jacques Chirac.