Wahlkampf in der Schweiz: Rechts unter Niveau
An diesem Wochenende wählt die Schweiz. Der Wahlkampf ist hart, die Intellektuellen auffallend leise.
M ein Lieblingszitat zu Leni Riefenstahl stammt aus einer Filmkritik der Frankfurter Rundschau und geht so: "Moralisch bedenklich, aber die Kameraführung stimmt." Abgesehen davon, dass dieser Claim die Riefenstahl-Debatten ironisch auf den Punkt bringt, verkehrt er einen geheimen Kern jener bürgerlichen Kunstkritik, welche die weltanschauliche Kritik des Gegenstands einzig auf stilistischer Ebene angreift. Weil die Kameraführung nicht stimmt, ist es auch moralisch bedenklich. Dieses Moment der Entpolitisierung charakterisiert auch den tosenden Wahlkampf, wie er in der Schweiz in den vergangenen Wochen geführt wurde.
Bis knapp eine Woche vor dem Urnengang, dessen Resultat an diesem Sonntag die politische Landschaft in den zwei Kammern kaum verändern und die Schweizerische Volkspartei (SVP) an der Spitze mit rund 27 Prozent bestätigen wird, fand der Kampf unter Ausschluss der Feuilletons und Kulturteile statt. Bis dahin waren es nicht nur die "Schriftsteller", die keine Stimme erheben mochten. Auch die meisten Redakteure verspürten wenig Lust, das unterirdische bis zuweilen rassistische Niveau der rechtspopulistischen SVP und die Reaktion der Linken darauf zu kommentieren.
Das SVP-Plakat, auf dem weiße Schafe ein schwarzes über die Landesgrenzen bugsieren, kennen mittlerweile auch Leser des britischen Independent, der Anfang September mit "Switzerland: Europes Heart of Darkness?" titelte. Und selbst die New York Times zeigte das unwiderstehliche Bild, als vor zwei Wochen Berns putzige Innenstadt brannte, weil ein Schwarzer Block eine SVP-Kundgebung angegriffen hatte. Im Nachgang dominierten thematisch Stil und Probleme des Standortmarketings.
Nun hat der vornehmlich als Dramatiker bekannte Lukas Bärfuss (35) Anfang der Woche im Zürcher Tages-Anzeiger doch noch beschrieben, warum seine Gilde schweigt. Jede Zeitung von Rang hat darauf reagiert. Und Bärfuss zumeist vorgeworfen, er formuliere ja bloß seine Ohnmacht, dies auch noch mit "Dégout", also Abscheu. Vor allem aber sei das schlecht und wirr geschrieben gewesen.
Hätte doch bloß die Kameraführung von Bärfuss Zeitungsstück etwas mehr den Vorlieben der Kommentatoren entsprochen. Dann hätten sie wahrnehmen müssen, dass der Autor nicht nur den Wahlkampf, sondern im gleichen Zug auch die Sonntagsredner - besser: Sonntagsschweiger - in den Kulturredaktionen selbst angreift.
Denn Bärfuss beschrieb die kommunikative Ohmacht, die durch den fehlenden Adressaten entsteht. Für wen öffentlich-politisch schreiben, wenn sich die Elite in abstrakten menschlichen oder rein stilistisch-ästhetischen Kategorien aufhält, während die betroffenen Minderheiten selbst in der Schweizer Literatur kaum eine Stimme haben? Wählen muss man dann halt trotzdem gehen. Das geht ja auch still. Und die Schönheit der Handschrift auf den Stimmzetteln kann zum Glück noch nicht zum Thema erhoben werden.
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