Wahlkampf in Afghanistan: Alle gegen Karsai
Im August wählen die Afghanen ihren Präsidenten - für Amtsinhaber Hamid Karsai kein Selbstläufer. Ernsthafte Konkurrenten könnten den Präsidenten mit seinen eigenen Waffen schlagen.
Für Afghanistans Präsident Hamid Karsai wird es eng. Zwei namhafte Konkurrenten sondieren das Feld. Sie wollen ihn bei der Präsidentenwahl im August ablösen. Noch ist ihre Kandidatur nicht offiziell. Trotzdem zeigt sich Karsai nervös - besonders nachdem die neue US-Außenministerin Hillary Clinton Afghanistan als "Narkomafia-Staat" bezeichnete. Sie bezieht sich auf die Auswüchse des Mohnanbaus - und verwendet die Wortwahl eines seiner beiden Hauptkonkurrenten. Karsai hielt das für mehr als einen Zufall und schoss scharf zurück: Die Anschuldigungen "entbehren jeder Grundlage und sind unverantwortlich".
Karsais Sorge ist berechtigt. Bei seiner Wahl 2004 war er als unverbrauchter und vergleichsweise junger Politiker, Jahrgang 1957, einsamer Favorit der kriegsmüden Afghanen. Seine guten Englischkenntnisse, die Washington-Verbindungen seiner Familie und vor allem seine Unterordnung unter die Bush-Agenda machten ihn auch zum Wunschkandidaten der USA und ihrer Verbündeten. Die taten alles, um aussichtsreiche Gegenkandidaten auszubooten. Doch inzwischen befindet sich Karsais Beliebtheit im Sturzflug. Die säkulare Oppositionszeitung Acht Uhr morgens ätzte kürzlich, wenn Karsai abgewählt würde, "verliert Afghanistan nichts". Und diesmal sind seine Hauptgegenspieler nicht nur Paschtunen wie er, also Angehörige der dominierenden ethnischen Mehrheit, sondern verfügen selbst über beste Beziehungen in die USA sowie Amtserfahrungen als Minister unter ihm.
Der ehemalige Innenminister Ahmad Ali Dschalali arbeitete fast 20 Jahre lang beim Radiosender Stimme Amerikas, schrieb Bücher über den Guerillakrieg und lehrte an der Pentagon-nahen National Defence University. Dort war er Zimmergenosse hoher Pentagon-Figuren der Bush-Ära, die jetzt seine Kandidatur unterstützen. Der andere Kandidat in spe, Ashraf Ghani, war langjähriger Mitarbeiter der Weltbank und war dort ab 1999 über zehn Jahre lang Sonderberater. Dann ließ er sich ohne Gehaltszahlung beurlauben, um Mitte 2002 im zweiten Kabinett Karsais Finanzminister zu werden. Beide schieden im Streit von Karsai. Das soll ihren Wahlkampagnen als Saubermänner nun Legitimität verleihen. Aber auch ihre Vorstellungen waren nicht so makellos, wie sie es jetzt gern haben möchten.
Roter Faden in Dschalalis Wahlkampf ist die Geschichte, wie er im September 2005 mit Knall die Kabinettstür hinter sich ins Schloss warf und Karsai beschuldigte, seine Reformvorschläge für das korrupte Innenministerium blockiert zu haben. Der 68-Jährige aus der Provinz Ghasni präsentierte sich frühzeitig als Kandidat. Schon Anfang des Jahres tourte er durch sein Heimatland, platzierte Interviews in wichtigen afghanischen Medien, mobilisierte Unterstützung in Parteien und rekrutierte einflussreiche Kampagnenchefs in wichtigen Regionen des Landes. Eine Zeit lang galt er als Frontmann des afghanischstämmigen Zalmay Khalizad, eines politischen Rumsfeld-Zöglings, der die USA nach Ende des Taliban-Regimes erst in Kabul - Spitzname "Vizekönig" - und bis vor kurzem bei der UNO vertrat und über dessen eigene präsidiale Ambitionen in seinem Herkunftsland die Gerüchte bis heute nicht verstummt sind. Unter den Afghanen auf der Straße machte das Dschalali zum meistgenannten Namen für eine aussichtsreiche Karsai-Nachfolge.
Bei Licht besehen fehlt ihm die von vielen Afghanen herbeigesehnte harte Hand. Jahrelang sah er tatenlos zu, wie hohe Beamte in seinem Hause schamlos Ämter verschacherten. Dschalali hätte nicht auf Karsais grünes Licht warten müssen, um sie zu feuern. Auch seine behauptete paschtunische Herkunft ist - wie viele ethnische Kategorisierungen - ambivalent. In Afghanistan heißt es, eigentlich sei er Nachkomme turkomongolischer Zuwanderer. Zudem ist fraglich, ob ihm nach dem Wahlsieg Obamas die Pentagon-Connection noch helfen wird.
Ashraf Ghani ist ein Neoliberaler reinsten Wassers. Der wohlhabende Landbesitzer vom paschtunischen Nomadenstamm der Ahmadzai verfügt über Abschlüsse der American University in Beirut, wo er gleichzeitig mit Khalilzad studierte, von Columbia, Harvard und Stanford in Anthropologie und Wirtschaft. Er brachte die Privatisierung des starken afghanischen Staatssektors und die erfolgreiche Währungsreform 2002 auf den Weg. An Selbstbewusstsein mangelt es dem 59-Jährigen nicht, das beweisen seine - allerdings gescheiterten - Kandidaturen für die Chefposten von UNO und Weltbank 2006 und 2007. Ghani ist hochintelligent und -effizient, aber auch als aufbrausend bekannt. In Kabul geht die Mär, er habe sich die Hand gebrochen, als er während einer Kabinettssitzung vor Ärger auf den Tisch haute. Er ist alles andere als ein Team Player, und es ist fraglich, ob das angesichts der ohnehin schon überzentralisierten Staatsstrukturen Afghanistan zum Guten gereichen würde.
Zu Weihnachten präsentierte sich Ghani im Karsai-kritischen und meistgesehenen TV-Sender des Landes als Mann mit dem großen Besen. Afghanistan befinde sich in einer "politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise", die Regierung gehöre zu den fünf korruptesten der Welt, und Karsai bestrafe den Missbrauch von Privilegien nicht, sagte er. Das dürfte seiner Beziehung mit dem Präsidenten den Todesstoß versetzt haben, der ihn noch Mitte des Jahres als über den Fachministern stehenden Superberater für den gesamten Wirtschafts- und Finanzbereich auf seine Seite ziehen wollte. Karsai lässt schon weniger nicht durchgehen: Generalstaatsanwalt Abduljabbar Sabet wurde im Juli gefeuert, als er bloß seine Kandidatur bekannt gab.
Auf der negativen Seite hat Ghani in erster Linie mit Familienbanden zu kämpfen. Sein Bruder Hashmat stilisiert sich seit Jahren als Anführer aller Nomaden Afghanistans, obwohl er - wie in Kabul gespottet wird - noch nie "ein Zelt von innen gesehen" habe und auch sonst eher westlichem Lebensstil zuneigt. Allen afghanischen Politikern fällt es schwer, Verwandte in die Schranken zu weisen, die von ihrer Position profitieren wollen. Das geht Karsai nicht anders, dessen jüngerer Bruder Ahmad Wali immer wieder mit Drogengeschäften großen Stils in Verbindung gebracht wird. Bedingungslose Familiensolidarität steht in einer Stammesgesellschaft ganz oben auf der Werteskala. Wer sich dagegen stellt, verliert schnell Ehre, Ansehen und damit alle Wahlchancen.
Dschalalis und Ghanis Antreten spaltet unweigerlich die knappe paschtunische Stimmenmehrheit, die Karsai bisher immer zum Sieg verhalf. Damit könnten sie der Nordallianz der ehemaligen Mudschaheddin in die Hände arbeiten, die sich in leicht veränderter Besetzung als Nationale Front (NF) wiedererfunden hat, aber immer noch ein Bündnis nordafghanischer Warlord-Parteien ist, garniert mit ein paar Vorzeige-Paschtunen. Die NF ist die stärkste Oppositionskraft, nicht zuletzt dank ihrer Feuerkraft, die ihr die oberflächlich umgesetzten Entwaffnungsprogramme gelassen haben. Ihr Kandidat steht namentlich noch nicht fest. Parlamentschef Younus Kanuni, 2004 hinter Karsai deutlich abgeschlagener Zweiter, hegt wieder Ambitionen. Aber wahrscheinlich wird der frühere Außenminister Abdullah Abdullah für sie ins Rennen gehen, der sich zurzeit aus der großen Politik weitgehend heraushält. Mit einem Vater vom einflussreichen Stamm der Barakzai um Kandahar hofft auch er auf paschtunische Stimmen. Auch in Washington wird Abdullah geschätzt, nicht zuletzt, weil er das bisher unveröffentlichte bilaterale Abkommen über die Truppenstationierung unterschrieben hat, das den USA in Afghanistan faktisch freie Hand gibt.
Kanuni, der befürchten muss, schon innerparteilich wieder zweiter Sieger zu werden, hat Fühler zu Dschalali ausgestreckt. Eine Allianz beider würde die bisherige Trennung des Landes in den paschtunischen Süden und den nicht-paschtunischen Norden überbrücken. Allerdings gehört auch Kanuni zu den verbrauchten Milizführern der Bürgerkriegsära, die nach der sowjetischen Besetzung maßgeblich erst zur völligen Zerstörung Afghanistans und damit erst zum Entstehen der Taliban beitrugen. Aber Bündnis-Entscheidungen werden in Afghanistan frühestens 5 vor 12 getroffen. Noch ist vieles möglich.
Eine Konstante aber bleibt der Einfluss Washingtons auf den Wahlausgang in Afghanistan. Alle Anwärter versuchen derzeit herauszufinden, wen Washington diesmal unterstützen wird. Doch Obama scheint sich noch nicht entschieden zu haben. Der Appell der Kabuler Zeitung Wisa in die Richtung der westlichen Hauptstädte, dass nur die Afghanen das Recht hätten, ihren Präsidenten zu bestimmen, "und niemand anders", dürfte trotzdem ungehört verhallen.
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