Wahlkampf bei den Evangelikalen: Unter der Gürtellinie

Die Republikaner versuchen Obama als Muslim zu verunglimpfen. Die evangelikalen Wähler werden vermutlich pragmatisch entscheiden und hinterher den Wahlsieger unter Druck setzen.

Barack Obama auf einer Wahlkampfveranstaltung an der Universität in Charleston, im US-Bundesstaat West Virginia. Bild: dpa

CLARKSVILLE taz Was ist das wichtigste Thema im US-Wahlkampf? "Die amerikanischen Werte", antwortet Elaine Dougherty überzeugt. "Unser Vertrauen in Gott. Unser Christentum." Die 64-Jährige arbeitet in der Kleinstadt Clarksville, Westvirginia, ehrenamtlich für die Republikaner. Barack Obama habe seinen Amtseid als Senator auf den Koran abgelegt, schiebt sie noch nach - eine uralte, längst widerlegte Behauptung, die nur in die Welt gesetzt worden ist, um den demokratischen Präsidentschaftskandidaten bei den christlichen Fundamentalisten zu diskreditieren.

Clarksville liegt in West Virginia, einem der Staaten, in denen John McCain nach wie vor deutlich führt - allerdings nicht unangefochten. Auch in dieser armen Bergbauregion, in der George W. Bush zweimal klar gewonnen hat, dürfen sich die Demokraten durchaus Hoffnungen auf einen Überraschungssieg machen. Wohl auch deshalb liegt im Parteibüro ein Stapel weißer Handzettel auf einem Info-Tisch. Überschrift: "Können Muslime gute Amerikaner sein?" Nein, den dürfe die Reporterin nicht mitnehmen. Der stamme auch gar nicht von der Republikanischen Partei, das habe heute einfach "irgendjemand" hier hingelegt. Sie wisse selber nicht, welche Botschaft er enthalte, sie habe den Text nicht gelesen. Die Botschaft des - anonymen - Flugblatts ist unmissverständlich: Ein Muslim könne kein guter Amerikaner sein, gute Amerikaner hätten allen Grund, misstrauisch gegenüber Muslimen zu sein, heißt es in dem Text.

Kulturelle Fragen spielten in dieser Region eine große Rolle, meint Jennifer Banko, die ein paar Häuser weiter im lokalen Hauptquartier der Demokraten als Ehrenamtliche arbeitet. Die 37-Jährige glaubt an einen Wahlsieg von Obama, auch in West Virginia: "Die Themen Krieg und Wirtschaft haben derzeit eine so überragende Bedeutung, dass Fragen wie Abtreibung oder der Streit um das Recht auf Waffenbesitz an Bedeutung verlieren. Vor vier Jahren hatten Wertkonservative keinen guten Grund, nicht republikanisch zu wählen. Das ist heute anders."

Das muss aber nicht so bleiben. Das prinzipielle Verbot von Abtreibung, das Recht auf Waffenbesitz und die Gottesfurcht im christlichen Sinne: Dieses Dreigestirn bildet den Rahmen der konservativen Weltanschauung in den USA, deren Parteigänger George W. Bush zum Sieg verholfen haben. In Europa scheinen manche Anhänger von Obama zu glauben, es gehe bei der US-Präsidentschaftswahl um einen Kulturkampf. Viele US-Wähler treffen ihre Entscheidung jedoch ganz pragmatisch nach anderen, derzeit drängenden Prioritäten - ohne ihre grundsätzlichen Überzeugungen deshalb über Bord werfen zu wollen.

Die Trennung von Kirche und Staat verschwimmt in den USA in zunehmendem Maße. Zur Erinnerung: Als sich John McCain und Barack Obama zum ersten Mal direkt gegenübersaßen, in einer Sendung im nationalen Fernsehen, ging es um ethische und religiöse Fragen. Moderiert wurde die Sendung von einem Pfarrer. Und der Haupteinwand gegen den - ursprünglich aussichtsreichen - republikanischen Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney bestand in dem Hinweis, dieser sei Mormone.

Der Einfluss evangelikaler Christen ist in den USA in den letzten Jahren beständig gewachsen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 kamen aus ihren Reihen mehr als 40 Prozent der Stimmen für die Republikaner. Das zentrale Glaubensprinzip dieser Christen - dass nämlich die Bibel wörtlich geglaubt werden müsse, also nicht in einen zeitgeschichtlichen Kontext gestellt werden dürfe - hat weitreichende tagespolitische Konsequenzen, von der Stammzellenforschung bis hin zur Nahostpolitik. Evangelikale Christen lehnen die Evolutionstheorie ab und glauben, dass Gott die Menschen so erschaffen hat, wie es in der Schöpfungsgeschichte steht. Seriösen Umfragen nach glaubt inzwischen mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den USA, Gott habe die Menschen vor höchstens 10.000 Jahren erschaffen.

Es wäre naiv anzunehmen, dass die Anhänger derart fundamentaler Glaubenssätze ihre grundsätzliche Haltung an tagesaktuellen Fragen orientieren. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Je größer der Sieg von Obama ausfällt, desto mehr evangelikale Wählerinnen und Wähler werden ihn ins Oval Office gebracht haben - und desto größer sind die Rücksichten, die er in diesem Zusammenhang wird nehmen müssen. Am 4. November findet die Wahl des Präsidenten der USA statt - nicht aber ein Kulturkampf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.