Wahlen in Guinea: Aufbruch in die Freiheit
In Guinea wird nach über 50 Jahren Militärdiktatur am Sonntag ein ziviler Präsidentegewählt. Eine Ära der Gewalt geht hoffentlich zu Ende, viele Guineer feiern schon jetzt ihre Freiheit.
MONROVIA taz | Lamine Barry steht seit zwei Stunden in der Schlange vor Guineas Botschaft in Monrovia. Wenn in Liberias Hauptstadt nicht gerade ein Regenschauer niedergeht, ist es schwül und stechend heiß. Doch das hält Barry nicht ab. "Ich will wählen, zum ersten Mal in meinem Leben bei einer freien Wahl." Barry kam Mitte der 90er Jahre aus Guinea als Taxifahrer in das Nachbarland Liberia. Selbst als hunderttausende Liberianer vor dem Krieg in ihrer Heimat in Guinea Schutz suchten, blieb Barry in Monrovia. "Guinea war eine eisenharte Militärdiktatur, das war schlimmer als hier."
Ausgerechnet das Militär soll jetzt Guineas Weg in eine demokratische Zukunft sichern. Der langjährige Autokrat Lansana Conté starb an Weihnachten 2008, sein nicht minder brutaler Nachfolger Dadis Camara machte nach einem Attentat den Weg für den derzeitigen Juntachef Sékouba Konaté frei, der gemeinsam mit Zivilisten eine Übergangsregierung gebildet und für Sonntag die freiesten Wahlen in Guineas Geschichte versprochen hat.
24 Kandidaten für das Präsidentenamt treten an, von ehemaligen Premierministern bis zu nahezu Unbekannten. Kaum ein Tag, der in der Hauptstadt Conakry, aber auch in entlegenen Dörfern ohne eine Wahlkampfveranstaltung vergeht.
Die Guineer feiern ihre neu gewonnene Freiheit, sagt die Chefin des Übergangsrates in der neuen Regierung, die unter Conté verfolgte Oppositionelle Rabiatou Serah Diallo. "Das ist nur der Auftakt zur nationalen Versöhnung. Nach der Wahl richten wir ein nationales Forum ein, wo die Opfer der vergangenen Regime zu Wort kommen sollen."
Am 28. September 2009 waren Soldaten über eine Oppositionsdemonstration hergefallen. Sie töteten mehr als 150 Menschen und vergewaltigten hunderte Frauen auf offener Straße. Es war ein Ausmaß an Gewalt, das selbst die seit Jahrzehnten unterdrückten Guineer noch nie erlebt hatten. Zwei Monate später überlebte Dadis Camara, der sich hinter seine Truppen stellte, nur knapp ein Attentat. Sein Nachfolger Konaté erklärte, die Verantwortlichen würden vor Gericht gestellt. Bislang ist das noch nicht geschehen.
Viele Guineer glauben, dass die Gewaltakte vom 28. September ethnische Hintergründe hatten. Sowohl Conté als auch der mittlerweile exilierte Dadis Camara gehörten Minderheitsethnien aus dem Süden Guineas an der liberianischen Grenze an. Jetzt drängen die beiden großen Ethnien des Landes an die Macht, und zwar in Rivalität miteinander: die Fulani und die Malinke, die jeweils rund ein Drittel der Bevölkerung stellen. Der vermutliche Spitzenreiter, Contés ehemaliger Premierminister Cellou Dallein Diallo, ist Malinke. Sein schärfster Konkurrent, Alpha Condé, lange verfolgter Oppositionsführer, ist Fulani.
Zwischenfälle unter Parteianhängern häufen sich, je näher die Wahl rückt. Am Donnerstag gab es vier Tote bei einem Angriff auf Dalein Diallos Wahlkampfkonvoi 40 Kilometer außerhalb der Hauptstadt. Eine mehrere tausend Mann umfassende Sondereinheit soll nun Unruhen verhindern. Die Lage könnte sich weiter anspannen, wenn es wie erwartet eine Stichwahl geben muss.
Programme spielen in dieser Situation kaum eine Rolle. Alle versprechen den 10 Millionen bettelarmen Guineern ein besseres Leben. Fast nirgendwo gibt es fließend Wasser, Strom oder medizinische Versorgung. Die Millionenerlöse aus Bauxit- und Eisenerzexport kommen bislang nur einer kleinen Elite zugute. Ob sich das je ändert, hängt auch davon ab, ob sich das Militär mit dieser Wahl wie versprochen aus der Politik zurückzieht.
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