Wahlen in Afghanistan: Noch viel Raum für Manipulationen
Die beiden Wahlkommissionen agieren weiterhin mit unterschiedlichen Zahlen. Holt Karsai nur 15.000 Stimmen durch Einsprüche heraus, würde er doch noch gewinnen.
Das Wahlwirrwarr in Kabul geht weiter. Nur zwei Tage nachdem am Dienstag die Unabhängige Wahlkommission (IEC) des Landes nach geschlagenen zwei Monaten endlich ein Endergebnis verkündet hat, stellte sich nun heraus, dass es unterschiedliche Varianten dieses Ergebnisses gibt.
Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok hatte schon am Montag auf der Grundlage von Angaben der Wahlbeschwerdekommission (ECC) berichtet, dass Karsai mit genau 2.097.454 Stimmen - weitere 954.526 wurden wegen Fälschungen gestrichen, das ist fast ein Drittel der von der IEC ursprünglich für ihn gewerteten -, also 48,29 Prozent gewonnen habe. Die IEC hatte hingegen 49,67 Prozent für ihn angegeben, also fast anderthalb Prozentpunkte mehr.
Zwar ist nach Gesetzeslage nur die IEC befugt, das Ergebnis zu verkünden. Aber angesichts ihrer manipulativen Rolle während der Präsidentenwahl vom 20. August und ihrer selektiven Informationspolitik danach muss man wachsam sein. Die afghanische Agentur hatte offenbar Zugang zu den ECC-Daten erhalten, die an diesem Tag an die IEC übermittelt worden waren.
Die Nato hat die Entscheidung über mehr Truppen für Afghanistan vertagt. Über eine Aufstockung der Kontingente müsse später entschieden werden, sagte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nach mehrstündigen Beratungen der Verteidigungsminister in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Mehrere Bündnisländer sprachen sich dafür aus, zunächst die Stichwahlen zum afghanischen Präsidentenamt am 7. November abzuwarten sowie die Entscheidung der USA über zusätzliche Truppen. (afp)
Ihren Angaben zufolge musste auch Abdullah Abdullah, Karsais Gegenspieler beim zweiten Wahlgang (der am 7. November stattfinden soll), die Streichung von 200.000 Stimmen hinnehmen.
Damit landete er bei 31,54 Prozent statt 30,59 Prozent laut vorläufigem IEC-Ergebnis. Auch hier eine Differenz von etwa einem Prozentpunkt. Am Donnerstag bestätigten westliche Quellen in Kabul, die dort die Wahlnachlese beobachten, gegenüber der taz diese Diskrepanzen.
Offenbar hat die IEC - entgegen den Anweisungen der ECC - nur die Stimmen aus 147 statt 210 Wahlurnen gestrichen, in denen gefälschte Stimme gefunden worden waren. Zudem seien von ihr 79 statt 18 weitere Urnen wieder in die Zählung einbezogen worden, die zunächst unter Quarantäne gestellt wurden, dann aber von der ECC wieder freigegeben worden waren. Zwar sind die Unterschiede zwischen beiden Werten nicht gravierend. Aber es ist doch schockierend, dass die Wahlergebnisse anscheinend immer noch manipuliert werden.
Die wegen systematischen Wahlbetrugs umstrittene Präsidentenwahl hat wieder einmal bewiesen, dass das Land ein Verfassungsgericht benötigt. Bislang nimmt das Oberste Gericht diese Aufgabe wahr, aber es ist wie die Wahlkommission voll von Karsai-Anhängern. Dieser Mangel hatte schon einmal zu erheblicher Konfusion geführt. Als 2004 in der Loya Jirga die neue Verfassung beschlossen wurde, stimmten die Delegierten über einen Text ab, der später aber nicht in dieser Form und mit mindestens vier substanziellen Abweichungen veröffentlich wurde. Auch diese Differenzen sind bis heute nicht ausgeräumt. Möglicherweise, so die Quellen in Kabul weiter, ist auch das IEC-Endergebnis noch nicht das wirklich finale. Noch läuft eine 72-stündige Einspruchsfrist, deren Beginn - und damit auch Ende - unklar ist. Denn noch gibt es ja noch kein vollständiges Endergebnis.
Nur die Werte für Karsai und Abdullah wurden bisher bekannt gegeben. Kämen etwa Karsais Anhänger mit einem Gegeneinspruch gegen gestrichene Stimmen durch, könnte er plötzlich wieder bei mehr als 50 Prozent Stimmenanteil stehen. Dann würde die zweite Wahlrunde entfallen. Die 0,33 Prozentpunkte, die dafür ausreichen würden, sind ganze 15.000 Stimmen - 1,5 Prozent von denen, die die ECC Karsai strich.
In diesem Fall könnten die kleinen Diskrepanzen doch noch einmal große Wirkung entfalten. Das wäre dann doch noch ein Anlass, der Abdullahs Anhänger auf die Straße treiben könnte.
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