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Archiv-Artikel

Wahlen, Chaos etc. Wird Berlin nun Weimar?

Instabil mag es für das Regieren werden im neuen Bundestag.Der deutsche Staat wird es aber sicherlich nicht

Der Teufel kommt nie aus der selben Ecke, sagt der Volksmund. Bisher hat er Recht gehabt. Sind deshalb Warnungen überflüssig, ein unseliges Geschick der Vergangenheit könne sich genau so wiederholen? In Erwartung neuer oder alter Parteien mit neuer Kraft rechnen schon etliche Deutsche mit einem Instabilwerden der Politik. Wie können wir noch regiert werden, wenn die Parteien sich nicht einig sind? Solche Besorgnis übersieht geflissentlich, dass allzu oft Parteien den Bürgern Verdruss bereitet haben, weil sie sich zu schnell einig wurden. Das Wort vom Parteienschacher wird mit Erbitterung gebracht, wenn von Gefahren für das parlamentarische System die Rede ist. Aber wenn Parteien gar nicht mehr einander schachern können, weil sie einander spinnefeind sind, ist das am Ende das Ende demokratischer Verhältnisse in der Republik? Haben Gespräche über die Zukunft des Gemeinwesens diesen Punkt erreicht, dauert es nicht mehr lange, bis der Name Weimar fällt. Das Ende von Weimar, die Lehren von Weimar. „Bonn ist nicht Weimar“, hieß es einst zuversichtlich. Aber Berlin ist nicht Bonn. Ist Berlin Weimar? Könnte es das werden?

Zunächst ist wohl das abfällige oder verängstigte Reden von Weimar ein Stück Ehrabschneidung. Weimar, und das ist gemeint, war der erste demokratische Staat auf dem Boden des von Bismarck gegründeten Reichs. Dieser Staat hatte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und den harten Friedensbedingungen, die die Sieger dem geschlagenen, aber nun mehr als vordem gefürchteten Gegner aufbürdeten, gewaltige Leistungen in der Organisation der Schwierigkeiten, zum Teil auch schon zu ihrer Bewältigung erbracht. Zugleich bedeuteten die Jahre der Weimarer Republik kulturell fruchtbare Jahre, die in der deutschen Geschichte ihresgleichen suchen.

Weimar ist besser als sein Ruf. Aber die Bemühungen, Weimar seinen guten Ruf streitig zu machen, sind vielfältig und werden oft nicht einmal vorsätzlich, sondern gedankenlos unternommen.

Woran ist die Weimarer Republik zugrunde gegangen? Am Bonzentum, am Parteienschacher, an der Gottlosigkeit? An der Uneinigkeit der Politiker oder der Zersplitterung des Parteiwesens? Es gibt zahlreiche Symptome für eine ungute Entwicklung in den Jahren von 1919 bis 1933. Manch einer, der in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mit Schaudern von den Verhältnissen in der Republik von Weimar sprach, tat dies mit gutem Gewissen, weil er von schaurigen Dingen zu berichten wusste. Die Wahrheit aber ist, dass Weimar an seinen Feinden zugrunde ging, an Feinden, die sich schon hasserfüllt an der Wiege dieses Staates versammelt hatten und die trotz grimmiger Gegensätze untereinander fröhlich zusammenarbeiteten, als das Land in die Agonie glitt. Diese Feinde gaben ihm den Todesstoß.

Die Feinde der Weimarer Republik waren die Nationalisten und die Kommunisten. Kompromisslose Verteidiger der Republik waren von Anfang an die Sozialdemokraten und die Zentrumspartei – also die politischen Kräfte, die im Kaiserreich die Bevölkerungsgruppen vertraten, die unterprivilegiert waren und verfolgt wurden. In der Bundesrepublik, wie sie von Adenauer bis Schröder gewachsen ist, gibt es diese Feinde in nennenswerter Weise nicht. Nach dem Ersten Weltkrieg unterstützten konservative Eliten – Universität, Militär, Justiz, Industrie, Landwirtschaft – offen republikfeindlich die Nationalisten. Nach der in den Augen vieler Linken nicht vollendeten Revolution unterstützten progressive Eliten – Schriftsteller, Künstler, Journalisten – arrogant republikfeindlich die Kommunisten. Junge Menschen fanden nicht leicht Respektspersonen aus ihrer Lebenswelt, die sich vorbehaltlos zur Republik bekannten.

Die Bundesrepublik Deutschland hat dergleichen nie erlebt. Linke Fundamentalopposition wollte den CDU-Staat kaputt machen, kaum jemals die Bundesrepublik. Rechte Fundamentalopposition kam nie aus ihrer Schmuddelecke hervor. Von irgendwelchen Eliten in ihren Reihen konnte nie die Rede sein. Instabil mag es für das Regieren werden im neuen Bundestag. Der Staat wird es nicht. Bisher lautete einer der Kernsätze aller Reformlitaneien, man sollte nicht zu viel vom Staat erwarten. Der Staat als Geber und Nehmer sind aber stets die Regierenden. Wenn man künftig weniger von den Regierenden erwarten darf, weil die nicht allzu fest im Sattel sitzen, könnte das ein Anfang sein. Ein Ende eher nicht. JÜRGEN BUSCHE