: Wahl ohne Qual
PARTEITAG Die Grünen besetzen ihre Doppelspitze neu. Das Duo aus der Reala Bettina Jarasch und dem Linken Daniel Wesener soll die ganze Breite der Partei abdecken und für die Wahl im Herbst mobilisieren
Zwei Chefplätze, zwei Kandidaturen: Die Grünen stehen nicht gerade vor der Qual der Wahl, wenn es bei ihrem zweitägigen Parteitag am Wochenende neben dem Wahlprogramm auch um eine neue Doppelspitze geht. Bettina Jarasch (42), seit zwei Jahren Beisitzerin im Landesvorstand, und der führende Kreuzberger Bezirkspolitiker Daniel Wesener (35) sollen die Partei in den nächsten beiden Jahren führen.
Dass es ohne Kampfkandidaturen und damit verbundenen internen Streit abgeht, passt den sonst so diskussionsfreudigen Grünen sechs Monate vor der Abgeordnetenhauswahl sichtbar gut. Bei einer Kandidatenvorstellung am Mittwochabend gab es nur vier Fragen, viel Gelächter und noch mehr Beifall. Eine klare Wahl am Sonntag scheint damit sicher.
Die Parteispitze so kurz vor der für die Grünen so aufwendigen Abgeordnetenhauswahl auszuwechseln – immerhin reklamieren sie den Posten der Regierenden Bürgermeisterin für Renate Künast – war ursprünglich nicht geplant. Seit Längerem war zwar klar, dass Landeschefin Irma Franke-Dressler (64) sich nach vier Jahren an der Spitze zurückziehen will. Ihr Ko-Chef Stefan Gelbhaar (34) hingegen, seit 2008 im Amt, hatte noch im Januar geplant, erneut zu kandidieren. In einem Wahljahr sei Kontinuität wichtig, sagte er damals der taz. Dass er sich nur wenige Wochen später umentschied und nun ein Parlamentsmandat anstrebt, hat mit strategischen Überlegungen zu tun.
Denn erneut in der Parteispitze die Linken außen vor zu lassen – Jarasch gilt wie Franke-Dressler als Reala, Gelbhaar steht zwischen den Blöcken – hätte nicht gerade motivationsfördernd beim linken Parteiflügel gewirkt. Das aber kann sich die Partei vor ihrem bislang wichtigsten Wahlkampf nicht erlauben. Mit Wesener hingegen, seit 2003 enger Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele als linker Ikone, soll die ganze Breite der Partei erfasst werden.
Bei ihrer Vorstellung bei einer öffentlichen Sitzung des Landesausschusses, des höchsten Gremiums zwischen den Parteitagen, bemühten sich beide Kandidaten um einen geschlossenen, flügelübergreifenden Auftritt. Jarasch betonte, dass die von ihr geforderte Öffnung der Partei kein „Verwässern“ von Positionen bedeute, was vor allem Parteilinke befürchten. Und Wesener, vor nur eineinhalb Jahren bei einem anderen Parteitag der klassische Kreuzberger Hardliner, der über eine Koalition jenseits der Linken noch nicht mal reden will, schaute klar über den Tellerrand seines urgrünen Bezirks. Er wolle zwar seine Erfahrungen aus vielen erfolgreichen Wahlkämpfen einbringen, sagte er. „Ich weiß aber auch, dass Friedrichshain-Kreuzberg nicht Berlin ist.“ Die Wahl werde in der Fläche gewonnen, „da reicht es nicht, sich auf die Innenstadtbezirke zu konzentrieren“.
Jarasch und Wesener decken nicht bloß unterschiedliche Flügel, sondern auch verschiedene Lebensläufe ab. Jarasch, geboren in Augsburg, aber seit 19 Jahren in Berlin, war erst Zeitungsredakteurin, studierte an der FU Philosophie, Politologie und Literatur, bekam zwei Söhne, arbeitete neun Jahre bis 2009 in der Grünen-Bundestagsfraktion mit, zuletzt für Renate Künast. In den Landesvorstand kam sie vor zwei Jahren, ihr Spezialbereich ist Bildung. Für grüne Verhältnisse ungewöhnlich ist ihr starkes kirchliches Engagement: Sie ist seit 2006 Chefin des Pfarrgemeinderats von St. Marien-Liebfrauen in Kreuzberg.
Wesener hingegen, geboren in Hamburg und seit 1996 in Berlin, führte ein Geschichts- und Kunstgeschichtsstudium an der HU nicht über das Grundstudium hinaus. Er ist über seinen Job bei Ströbele, Funktionen auf Landesebene und als Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg auf allen Ebenen verknüpft. Als Landesvorsitzender will er sich auf die Vorstandsarbeit konzentrieren.
Eine der wenigen Fragen bei der Kandidatenvorstellung richtete sich auf mögliche Koalitionen nach der Abgeordnetenhauswahl. Wie Jarasch – „die Chemie muss einigermaßen stimmen“ – mochte sich auch der Linke Wesener nicht auf einen Koalitionspartner festlegen. Sich auf die SPD zu beschränken, „das würde ich für einen Fehler halten“. Gleich Spitzenkandidatin Künast sieht er zwar die größten Schnittmengen mit der SPD, „aber wir haben auch alle unsere Erfahrungen mit den Sozialdemokraten gemacht“, sagte er. Sein Ton legte nahe, dass das nicht immer die besten waren.
STEFAN ALBERTI