piwik no script img

Wahl in Mecklenburg-VorpommernMöhrchen für die Eselköppe

Die Landkreise wachsen und so die Entfernungen, die Volksvertreter zurücklegen. CDU-Politiker Markus Astfalck ist gegen die Gebietsreform – wie die Mehrheit der Bürger.

Urlaubsidylle in Mecklenburg-Vorpommern: Waren an der Müritz. Bild: dpa

LANDKREIS MÜRITZ taz | In Waren feiert die Müritz-Saga jeden Abend Auferstehung. Auf der Freilichtbühne oben auf dem Mühlenberg preschen Rappen vorüber und Wolf von Warentin, der ungestüme Sohn des Freiherrn, führt die Fischer und Bauern an der Müritz in eine neue, schöne Zeit. So endet allabendlich das Spektakel für Touristen und Einheimische an der Müritz, Deutschlands größtem See. Im echten Leben geht gerade eine Ära zu Ende. Eine schöne Zeit, wie Markus Astfalck betonen wird.

Astfalck öffnet die Tür zur Kanzlei. Kaum fünf Minuten Fußweg ist es von hier zum Mühlenberg mit der Müritz-Saga. Markus Astfalck hat auch für die Müritz und das Land ringsum gekämpft. Vergeblich. Für einen Verlierer wirkt Astfalck gefasst.

Sein Widersacher trägt den Namen Kreisgebietsreform, er kommt auf Papier daher, Paragrafen und Verordnungen darauf, er hat zwei Parteien hinter sich, Beratungsfirmen, Renditebetrachtungen und die Demografie auf seiner Seite und seit dem 18. August auch die Mehrheit der Verfassungsrichter des Landes, die mehrere Klagen gegen die Reform abgewiesen haben.

Der Gegner hat sein Ziel erreicht: Ab Sonntag, den 4. September ist der Landkreis Müritz Geschichte. Mit der Wahl zum neuen Landtag tritt die Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern ihre Herrschaft an. Sie hat zwölf Landkreise und vier kreisfreie Städte geschluckt und sechs Großkreise ausgespien. Und der Kreis, in dem Markus Astfalck leben wird, ist mit über 5.000 Quadratkilometern der größte, doppelt so groß wie das Saarland.

Es ist ein Landkreis mit hunderten Seen, tausendjährigen Eichen, Herrenhäusern, mit Wildschweinen und Wölfen, mit Unesco-Weltnaturerbe - und mit 260.000 Einwohnern, die sich neu organisieren müssen. Aber wie? Wie soll man die kommunale Selbstverwaltung ausüben, wenn viele der neuen Kreistagsmitglieder einen Hubschrauber brauchten, um in angemessener Zeit zur Sitzung zu kommen, wollten sie nicht Urlaub nehmen.

Trecker bestimmen das Tempo

"Ich weiß nicht, wie man das lösen kann." Astfalck zuckt mit den Schultern. Vor der Tür steht sein Wagen. Er ist als Anwalt für Agrar- und Verwaltungsrecht viel auf Achse, von einem Ende des neuen Landkreises zum anderen sind es mehr als hundert Kilometer. "Da juckeln sie zwei Stunden", ruft er. "Wenn das mal reicht!" Wenn Ernte oder Aussaat ist, reicht das nicht, dann bestimmen die Trecker das Tempo.

Wer verfüge als Arbeitnehmer oder Freiberufler über so viel Zeit? Astfalck räumt ein, dass sich trotzdem genug Kandidaten für den Kreistag gefunden haben. "Aber wer? Arbeitslose, Rentner und Leute aus der öffentlichen Verwaltung." Dazu kommen die vielen Bürgermeister und Landtagsabgeordnete, die sich einen Sitz im Kreistag warm halten.

Ist das der Sinn der Selbstverwaltung? "Verwaltung kontrolliert Verwaltung", lästert Astfalck. Bürgermeister bestimmen über die Kreisumlage, die ihre Gemeinde später dann an den Landkreis überweisen. Wenn das kein Interessenkonflikt ist. Und die Landtagsabgeordneten könnten die Politik ihrer Fraktionen im Kreistag fortsetzen.

Angestellte und Freiberufler bleiben bei alldem ausgeschlossen, weil sie keine Zeit haben oder keinen Chef, der für so ein ausuferndes Ehrenamt Verständnis hat.

Zu kleine Kreise

Die Urheber der Reform verweisen darauf, dass es im Land immer weniger Einwohner gibt, dass die alten Kreise für eine effiziente Verwaltung zu klein seien und sich jährlich bis zu 80 Millionen Euro sparen lassen.

Die Landesregierung propagiert das E-Government. Astfalck lästert weiter: "Wenn die Kreistagsmitglieder entscheiden sollen, welche Schule zuerst repariert wird, sollen die da etwa eine E-Mail schreiben? Die müssen da hin."

Und der Bürger, von denen in Umfragen über 70 Prozent die neuen Kreise ablehnen? Zum Trost dürften sie abstimmen, ob das neue Gebilde "Mecklenburgische Seenplatte" oder "Mecklenburg-Vorpommernsche Seenplatte" heißen soll. Für Astfalck "Möhrchen für die Eselsköppe".

Den Begriff "Eselsköppe" dürfte Ministerpräsident Erwin Sellering von der SPD weit von sich weisen. Mehr noch, eine dermaßen umfangreiche Bürgerbeteiligung habe es in Deutschland bei so einer Reform noch nie gegeben, heißt es in dem dünnen Leitfaden, in dem Sellering und sein Innenminister Lorenz Caffier von der CDU bei den 1,6 Millionen "Mitbürgerinnen und Mitbürger" für ihr Werk werben.

Ein Sonderparteitag

Und Caffier, der eigentliche Motor dieser Reform, hatte vor Kurzem noch einmal das große Interesse an der Kommunalpolitik betont und auf die über 2.000 Kandidaten verwiesen, die eines der 422 Kreistagsmandate ergattern wollen. Allerdings war der Andrang hier im neuen Kreis am geringsten.

Liegt das an Astfalck, der so dafür gestritten hat, dass diese Reform niemals Wirklichkeit wird? Astfalck hat eine Bürgerinitiative gegründet, hat dem Innenminister Wahlbetrug vorgeworfen und die CDU im Kreis so aufgeputscht, dass sie als einzige im Land einen Sonderparteitag einberufen hat, der sich knapp gegen die Reform aussprach.

Hat Astfalck die Bürger aufgewiegelt? Im Gegenteil. "Ich kandidiere für den Kreistag", sagt er. Warum? "Aus Trotz!" Astfalck kandidiert für die CDU, seine Partei, die Partei der Reform.

"Im Grunde ist das der Demokratie-Nukleus", sagt er und steht auf. Vor der Wand mit den Neuen Juristischen Wochenschriften wirkt er wie ein Dozent. Der Kreistag als Kern der Demokratie? Jedenfalls gibt es bald nur noch sechs. Was ist, wenn die auch zerbröckeln? Die Kreis-CDU hat Astfalck auf Listenplatz eins gesetzt, ein sicheres Ticket. Eine Schlacht hat er gewonnen, immerhin.

Desert Counties in Meck-Vorpomm

Die Bundesstraße 192 zwischen Waren und Neubrandenburg ist eine der Hauptschlagadern des neuen Kreises. Die neuen Kreise kommen schon den Desert Counties in den USA nahe, kommentierte einer der vielen "Mitbürger" Sellerings und Caffiers im Internet, zumindest, was die Größe betreffe.

Und irgendwann auch, was die Einwohnerzahl angeht. Doch Mecklenburg ist fruchtbar. Der letzte Weizen wird gedroschen, die neue Saat ausgebracht. Landwirtschaft und Tourismus dominieren die Wirtschaft.

Würden sich die neuen Kreistagsmitglieder auf den geografischen Mittelpunkt als neue Kreisstadt einigen, kämen sie in dem Dörfchen Ankershagen zusammen, nur 50 Kilometer müssten die Mitglieder zurücklegen, die an der Kreisgrenze wohnen. Das Dorf mit seinen gut 300 Einwohnern ist schon jetzt eine der Berühmtheiten und wäre ein guter Platz für Volksvertreter.

Es zeigt, dass es sich auch in Mecklenburg vom ganz Großen träumen lässt. Dafür müssten die Delegierten nur in die alte Pfarre gehen, das nun Museum ist. Hier hat der achtjährige Pfarrersohn Heinrich Schliemann verkündet, das antike Troja auszugraben. So behauptete es der erfolgreiche Archäologe und Schatzgräber später, als er längst in Athen residierte. Im Museums-Shop schneidet die Verkäuferin Zeitungsartikel aus. Es gebe viele Museen im neuen Landkreis, erzählt sie.

Was, wenn die Zuschüsse für Kulturelles weniger werden? Ankershagen wird natürlich nicht die neue Kreisstadt, sondern Neubrandenburg mit seinen 65.000 Einwohnern.

Ein Mann mit Visionen

Andreas Grund, Bürgermeister von Neustrelitz, hat für seine Stadt eine Vision. Sie wird in wenigen Tagen keine Kreisstadt mehr sein. Er empfängt im Rathaus am Markt, auf dem Tisch ein Luftbild, das die spätbarocke symmetrische Anlage der Residenzstadt präsentiert.

Darauf hat Grund leicht widerwillig Ordner und Bücher getürmt, Beschlüsse, Dokumentationen, Zwischenberichte und den Bürgerleitfaden, "ne tolle Broschüre", brummt er - alles zur Kreisgebietsreform. Stolz ist man hier eher auf die Vergangenheit und das Herzogtum Mecklenburg-Strelitz.

Und die Zukunft? Grund, 51 Jahre alt, arbeitete als Bauingenieur und ist seit acht Jahren Bürgermeister. Sein Vorschlag: Neubrandenburg wird das Verwaltungszentrum, Waren Tourismus- und Neustrelitz Kulturzentrum. So könnte eine Dreiteilung aussehen. Er reicht das Festprogramm anlässlich "Zwanzig Jahre Stadtsanierung" herüber.

An kulturellem Potenzial ist Neustrelitz nicht zu übertreffen - Stadtanlage, Baudenkmale, Theater, Museen, Mecklenburgische, Preußische, das alles läuft hier so gebündelt zusammen, wie es die Straßen auf dem Marktplatz tun. Man sei nur hundert Kilometer von Berlin entfernt, die Bahnverbindung hervorragend.

Kommunale Familie

An die versprochenen Einsparungen glaubt Grund nicht, und ob wenigstens das Amtsgericht in der Stadt bleibt, ist offen. Und die Bürgerbeteiligung? "Es geht nicht alles elektronisch. Die Entfernungen werden größer", sagt Grund. Er beschwört als Gegenentwurf zum Großkreis die "kommunale Familie" und überrascht dann doch.

"Ich habe mich bewogen, für den Kreistag zu kandidieren", sagt Grund, als hätte er sich just in diesem Moment entschieden, für die Freien Wähler Mecklenburg-Vorpommern anzutreten. Warum? Bis jetzt habe er gesagt, es gebe einen Interessenkonflikt. "Doch ich habe einen Wissensvorsprung." Der müsse genutzt werden. Das ist sicher ein Vorteil.

70 ehrenamtliche Kreistagsmitglieder hat der Landkreis nun, fast genauso viele wie bezahlte Abgeordnete im Landtag von Schwerin. Der Kreis, in den das Saarland zweimal bequem hineinpassen würde, heißt ab sofort "Mecklenburgische Seenplatte". Oder eben "Mecklenburg- Vorpommernsche Seenplatte". Die Bürger sollten schließlich das letzte Wort haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • TL
    Toralf Lorenz

    Das Tribunal hat entschieden - aber nicht mit dem Volk. Sondern gegen die, von denen es gewählt werden soll. Und das ist das Arrogante daran.

    Kleine Gemeinden sollen gezwungen werden, zwangsweise zu fusionieren. Ein großes Stück Selbstverwaltung wird zerstört - im Kleinen, wie im Großen. Der "Nordstaat" naht...

    Es ist nicht verwunderlich, wenn sich immer mehr Menschen von der "aktiven" Politik abwenden, Alternativen suchen. Weil die "dummen" Befindlichkeiten des Volkes Regierende ohnehin nur als Randglosse interessieren.

    Die Quittungen sind dann geringe Wahlbeteiligung oder auch Protest-Wahl, wie z.B. (leider) auch NPD.

  • K
    Klaus

    Ein mehr als arroganter Artikel mit der Sicht von oben herab. So etwas geht gar nicht.