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Archiv-Artikel

Wählerschädigung wird immer erst nach vier Jahren quittiert Fehler machen erlaubt

Manche politischen Vorschläge sind so vorhersehbar wie schlechtes Wetter im Februar. Immer dann, wenn die Bundesregierung in Not gerät, findet sich irgendjemand, der laut nach einer großen Koalition oder gleich nach Neuwahlen ruft. Im Inter- esse Deutschlands, damit die Politik wieder handlungsfähig werde und was dergleichen Worthülsen mehr sind. Das ist populistischer Unfug. Die Forderung zeugt nicht nur von mangelndem Demokratieverständnis. Sie befördert darüber hinaus genau das, was sie zu bekämpfen vorgibt: Schwerfälligkeit und Verzagtheit der politischen Akteure.

Regierungen haben ohnehin Angst davor, Initiativen zu ergreifen, die der Bevölkerung sofort Opfer abverlangen, ihre erhofften positiven Wirkungen aber frühestens nach den nächsten Wahlen entfalten – ob es nun um Umweltpolitik, um Familienförderung oder um Subventionsabbau geht. Das ließe sich nur ändern oder wenigstens mildern, wenn die Dauer der Legislaturperiode erheblich verlängert würde, etwa auf acht oder gar zehn Jahre. Der Preis dafür wäre jedoch unannehmbar hoch. Er bestünde in der faktischen Abschaffung der Demokratie.

Eine Regierung soll regieren und nicht lediglich auf die nächste Umfrage starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Dann muss sie aber wenigstens die Sicherheit haben, eine ganze Legislaturperiode im Amt bleiben zu können, solange sie parlamentarische Mehrheiten zustande bringt. In dieser Zeit darf sie Fehler machen, dumme Entscheidungen treffen und die Wähler ärgern. Die können ihr die Quittung dafür ja später ausstellen. Koalitionsbildungen, die sich lediglich am Meinungsklima orientieren, verhindern politische Gestaltung.

Aber wäre denn – abseits dieser Überlegung – eine große Koalition politisch wünschenswert? Diese Frage ist allzu theoretisch. Große Koalitionen lassen sich nicht herbeiwählen. Eine Volkspartei wird sich, sofern möglich, stets lieber für einen kleineren Partner entscheiden, weil diese Konstellation den eigenen Einfluss stärkt. Dieser Kampf um Macht ist übrigens nicht illegitim, sondern das Wesen jedes politischen Wettbewerbs. Leichter ist Demokratie nicht zu haben. BETTINA GAUS