WUT AN DER AMPEL : Mein Spießer-Gen
Ich stehe an der Ampel, die den U-Bahnhof Kochstraße von dem Häuserblock trennt, zu dem das taz-Haus gehört. Dazwischen die Friedrichstraße. Es ist Berlins dümmste Fußgängerampel, und sie gehört zu der Rundum-Anlage, die jeder Reiseführer als Unikum anpreist: Erst haben die einen Straßenbenutzer Grün, dann die anderen und dann alle Fußgänger. Die wechseln kreuz und quer die Seiten und stoßen manchmal zusammen, weil sie sich nicht haben kommen sehen.
Dumm ist diese eine Ampel, weil zwischen U-Bahn-Mittelinsel und südwestlicher Straßenecke quasi Einbahnstraße ist. Rollt der Verkehr in Ost-West-Richtung, fährt garantiert niemand: es kann ja auch niemand einbiegen. Trotzdem zeigt die Ampel Rot. Aus Prinzip. Und keiner hält sich dran, auch ich nicht.
Nur der Kinder-Reflex funktioniert. Heute steht mir gegenüber ein kleiner Mann mit südasiatischem Aussehen, ein Mädchen an der Hand. Sie stehen und warten, und das Kind guckt groß die Leute an, die trotzdem gehen. Ich stehe. So viel Zeit muss sein.
Wump. Einer im Trenchcoat rempelt sich von hinten durch, murmelt was wie „Kannichmal“ und latscht rüber. Als es kurz darauf grün wird, ist mein Spießer-Gen aktiviert. Ich überhole den Typ und sage: „Ganz schön eilig.“ Wut in seinen Augen: „Jaha“, sprudelt es mit einem eigentlich hübschen holländischen Akzent aus ihm heraus, „schon klar! So wash machen Deutshe nicht! Dann shehensh die Kinder und machensh gleich nach! Ha! Gewöhnt euch dran, dass sho eine Stadt chaotisch isht!“ Und ab.
Ich denke an Brechts Herrn K., der für eine Minute zum Nationalisten wurde, als ein Besatzungssoldat ihn vom Trottoir scheuchte – „weil die Dummheit dumm macht, die ihr begegnen“. Dann denke ich, dass der Holländer dasselbe denken könnte. Und zum Schluss denke ich, dass diese gottverdammte Drecksampel endlich umprogrammiert gehört. CLAUDIUS PRÖSSER