WUNDERBARE BVG : Positiv überwältigt
An einem Mittwochmorgen kurz nach acht ist die U5 zwischen Frankfurter Tor und Alexanderplatz so proppenvoll, dass selbst die Stehenden nicht wissen, wohin mit ihren Füßen. Die letzten Fahrgäste quetschen sich durch die Tür, die U-Bahn kann nicht losfahren.
Während ich auf einen dieser typisch pampigen Kommentare aus dem Führerhäuschen warte, à la „Wennse nich aus die Tür jehn, fahr ick nich weita. Ick hab Zeit“, werde ich von einer überaus freundlichen Herrenstimme überrascht. „Die Schluppen von die Tasche müssen ooch noch rein.“ Um mich herum grinsende Gesichter. Wenige Sekunden später, die U-Bahn hat Fahrt aufgenommen, meldet sich der BVG-Chauffeur erneut zu Wort. „Ja, so voll kann ein Zug sein.“ Wieder Grinsen allerorten. Mit dem Satz: „Trotz der Unannehmlichkeiten wünsche ich Ihnen einen schönen Tag“, verabschiedet er seine Fahrgäste am Alexanderplatz.
Ich wäre gerne zu dem Fahrer gelaufen, um mich zu bedanken. Aber ich hatte keine Zeit. Ich war auf dem Weg zu einem Vortrag bei der Bundeszentrale für politische Bildung in der Friedrichstraße. Lehramtsstudenten aus Dänemark sollte ich etwas erzählen zum Thema „Jugend in der DDR“. Nach dem Referat lauschte ich noch den Ausführungen eines Mitarbeiters des Hauses über die Aufgaben und Wirkungsweise der Bundeszentrale. Dabei hörte ich das erste Mal vom „Beutelsbacher Konsens“. Er legt die Minimalbedingungen für politische Bildung fest, die Schüler in die Lage versetzen soll, politische Situationen selbst zu analysieren. Neben Kontroversität, Ausgewogenheit und Schülerorientierung gehört dazu auch das „Überwältigungsverbot“. Lehrer dürfen den Schülern ihre Meinung nicht aufzwingen. Im Prinzip stimme ich dem zu. Hätte mich nicht wenige Stunden vorher ein U-Bahn-Fahrer auf positive Weise überwältigt.
BARBARA BOLLWAHN