piwik no script img

Archiv-Artikel

WÖRTER MEINEN NICHT IMMER DAS, WAS SIE ZU MEINEN SCHEINEN. EINES BEDEUTET SOGAR DAS GEGENTEIL Liebe ist konservative Haushaltspolitik

MATTHIAS LOHRE

Als ich 14 war, glaubte ich mich am Ziel. Die Klassenschöne und ich verbrachten die große Pause miteinander. Ab und an redeten wir sogar miteinander. Schließlich sagte sie: „Ich mag dich. Echt.“ Ich war so glücklich, wie es einem Joy-Division-Fan mit Pickeln möglich ist. Es dauerte lange, bis ich begriff: Wörter meinen nicht immer das, was sie zu meinen scheinen.

Daran fühlte ich mich neulich erinnert. Verantwortlich war Norbert Barthle. Zwar kenne ich den haushaltspolitischen Sprecher der Unionsfraktion nicht persönlich. Aber er kommentierte den Entwurf für den Bundeshaushalt 2015. Erstmals seit 1969 soll dieser ohne neue Schulden auskommen. Das klang so: „Die Koalition setzt die konservative Haushaltspolitik wie versprochen fort.“

„Konservative Haushaltspolitik“: Da glaubt man zu wissen, was gemeint ist, aber im Grunde genommen weiß man es nicht. Es gibt „konservative Annahmen“. Ingenieure reden davon, wenn sie ungünstige Voraussetzungen als Ausgangspunkt ihrer Handlungen annehmen. Sie gehen also auf Nummer sicher. Ähnliches tun Ökonomen bei „konservativen Rechnungen“. Aber tut das auch die Bundesregierung?

Die Steuereinnahmen steigen seit Jahren, die Sozialausgaben sinken. Bekanntlich könnte der Haushalt schon seit Jahren ausgeglichen sein. Hätte beispielsweise die CSU sich nicht mit ihrer Mütterrente durchgesetzt, die jedes Jahr 6 Milliarden Euro kostet. Oder die SPD mit ihrer Rente mit 63. Die soll in den kommenden zehn Jahren insgesamt 160 Milliarden Euro kosten. Gleichzeitig brach die Regierung nach Meinung von Kritikern die Verfassung, als sie den Beitragssatz zur Rentenversicherung nicht senkte, um die Neuerungen zu finanzieren. Ist das etwa konservatives Haushalten?

Erst beim Nachdenken merkte ich: Barthle verhält sich wie die Klassenschöne, die mich vor einem Vierteljahrhundert glauben machte, sie stände auf mich. Dabei tat sie das vermutlich nicht. (Falls ich dich missverstanden habe: Du weißt, wo du mich findest, Britta.). Barthle redet nämlich nicht von konservativem Haushalten, sondern von konservativer Haushaltspolitik. Und das ist etwas völlig anderes. Wie einst Britta, so möchte der Unions-Mann eine irritierende Botschaft chic verpacken.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Donnerstag

Margarete Stokowski

Luft und Liebe

Freitag

Jürn Kruse

Fernsehen

Montag

Barbara Dribbusch

Später

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Mittwoch

Martin Reichert

Erwachsen

Wie war das 1969, jenem Sehnsuchtsjahr der Bundeshaushälter? Franz Josef Strauß war Finanzminister in der ersten schwarz-roten Koalition. In seinem Haushaltsentwurf veranschlagte er ein Defizit von 4,5 Prozent. Also weit mehr, als das Maastricht-Kriterium von 3 Prozent heute zulässt. Doch CSU-Mann Strauß hatte Glück. Die „gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ verlief viel besser als erwartet: 1969 musste der Bund keine neuen Schulden aufnehmen. Nicht dank genialer Haushaltsführung, sondern weil die Wirtschaft lauter brummte als erwartet. Jetzt verstehe ich, was Haushaltspolitiker Barthle gemeint hat: Konservative Haushaltspolitik ist Glückssache.

Was ich mit alldem sagen wollte: Ich verzeihe dir, Britta. Ich kann dir nichts versprechen, aber lass es uns miteinander versuchen. Liebe ist nun mal konservative Haushaltspolitik.