WOHLIGER SCHAUDER : Hitler und Dexter
Das Schild, das den „Mythos Führerbunker“ erläutert, steht etwas verloren zwischen Holocaust-Mahnmal und den Apartmentblocks für DDR-Parteibonzen an der Wilhelmstraße. Wenn es nicht nur auf Deutsch verfasst wäre und vielleicht einen Tick größer – dann würden sich hier wahrscheinlich Menschentrauben drängen und Berlin hätte eine neue Touristenattraktion, noch schöner als den Checkpoint Charlie. Führerbunker ist doch fast so cool wie Stehlen-Springen auf dem Holocaust-Mahnmal. An einem grauen kalten Nachmittag studiere ich die detailverliebte Skizze der unterirdischen Anlage auf dem Schild: In dieser Kemenate war Eva Brauns „Ankleidezimmer“. In jenem Raum hat Goebbels seine sechs Kinder vergiftet. Steht alles haarklein da.
Plötzlich steht ein Mann mit einer rote Plastikmappe unterm Arm neben mir. Er ist offenbar Reiseführer. Noch bevor sich seine zwei Dutzend Gäste um das Schild gruppiert haben, fängt er im Stakkato an zu reden. Ich verstehe nix außer ein paar Brocken, die italienisch klingen. Könnte Rumänisch sein. Ein Wort, das ich aufschnappe, ist „Hitler“, gefolgt von etwas, das wie „homosexual“ klingt. Hat der gerade gesagt, dass Hitler schwul war?
Es kommt noch toller. Von einem „Psycopat“ ist da augenrollend und gestikulierend die Rede, dann wieder von „Hitler“, von „televizion“ und „Dexter“, letzteres mit einem halsabschneidenden Geste quer über den Adamsapfel. Der Mann sieht in die Runde. Alle nicken verständnisinnig, den US-Serienhelden Dexter – Polizist bei Tag, sadistischer Serienmörder bei Nacht – kennen sie offenbar alle. Ein wohliges Schauern scheint die Gruppe zu überlaufen.
Hitler = Dexter, wow! Während ich noch die so demonstrierte Gabe zur Geschichtsvermittlung bewundere, hetzt der Reiseführer seine Gruppe schon weiter Richtung Mall of Berlin.
TILMAN BAUMGÄRTEL