WO IST LANKWITZ? : Dinieren im Diener
Kommt man von einer Lesung im Buchhändlerkeller, geht man anschließend in den Diener. Das ist ungeschriebenes Gesetz. Eines, das seit Jahrzehnten besteht. Solche Gesetze hinterfragt man nicht. Sie sind einfach da.
Das Restaurant wurde in den 1930er Jahren von dem Schwergewichtsboxer Franz Diener gegründet. Hier saßen schon Nazis und Anarchisten, Boxer und Künstler. George Grosz, der gleich nebenan wohnte, betrieb mit Gottfried Benn einen Stammtisch. Jeder, der mal hier war und eine eigene Autogrammkarte dabeihatte, hat sie unterschrieben und hiergelassen. Sie hängen nun tapetengleich im gelben Kneipenlicht. Jetzt sitzen wir hier an einem großen, runden Tisch, auf dem zentral ein „Stammtisch“-Schild steht. Einen Tisch weiter sitzen jene, die zum Inventar gehören. Auf der Speisekarte werden Stullen mit Griebenschmalz angeboten. Die Malerin fragt in die Runde, wer mitessen würde. Zwei nicken, und dann geht eine Diskussion los, was Grieben sind, wie man Schmalz herstellt und welche Großmutter das beste Griebenschmalz machen konnte. Nachdem wir uns alle eine Portion geteilt hatten und alle einverstanden waren, dass alle Großmütter gute Griebenschmalzgroßmütter waren, erzählt C., dass sie vor einem fast halben Jahrhundert in Lankwitz zur Schule gegangen sei.
Die Malerin hakt nach.
Plötzlich ist da dieser absurde Moment, dass drei Berliner Eingeborene, die auch noch dieselbe Schule besuchten, an einem Tisch sitzen und gemeinsam Griebenschmalz essen. Ansonsten sind Hamburg, Stuttgart und kleinere Ortschaften ohne Bahnhof oder Imbiss vertreten. „Du berlinerst überhaupt nicht“, sage ich zu C. „Kann ick ändern“, sagt C. „Sagt mal“, meldet sich einer zu Wort, der am anderen Tischende sitzt, „wo ist eigentlich Lankwitz?“ „Lankwitz“, sagt die Malerin, „ist da, wo du noch nie warst!“ BJÖRN KUHLIGK