WIR MÜSSEN MIT DEN ANDEREN REDEN UND LEBEN: Entfreundet keine Idioten!
Zu Hause bei Fremden
von Miguel
Szymanski
Im Alltag verhalten sich Gutmenschen in Deutschland sehr tolerant. Nur gegenüber Menschen, die sie für schlecht halten, werden sie intolerant. Der ökologisch besorgte Mitbürger mag keine Menschen zum Freund haben, die mit Diesel heizen, Würstchen aus Massenzucht im Garten grillen und am Wochenende spaßeshalber alte Ottomotoren mit ungeregelten Katalysatoren fahren. Der Pazifist mag keine Militaria-Sammler, ein Altmarxist setzt sich nicht an den selben Tisch, nicht einmal ins selbe Café wie ein Neoliberaler, ein Veganer mag keine Omnivoren und hat oft schon mit Laktovegetariern Probleme.
„Was, der Typ ist ein Freund von dir?“, fragt mich eine deutsche Bekannte, nur weil mein portugiesischer Freund meint, das Problem mit den Drogensüchtigen könne man in den Griff kriegen, wenn man sie „alle einsperrt und Stacheldraht drumherum zieht”.
In Portugal und Spanien vermischen sich gegensätzlich denkende Menschen mit Leichtigkeit, jeder für sich lebt individualistisch und kommt wahrscheinlich deswegen mit Andersdenkenden gut aus. Ob jemand überzeugter Besänftiger ist, oder am liebsten die Força Aérea oder den Ejército del Aire tägliche Angriffe über Rakka oder Damaskus fliegen lassen würde, ist im Alltag unter Freunden egal.
Auch wenn seit der aus den Parlamentswahlen am 4. Oktober in Portugal hervorgegangen Linksregierung und dem Wahlresultat vom vergangenen Sonntag in Spanien links oder rechts wieder ein großes Thema ist („Du Parasit lebst doch seit 30 Jahren aus Staatskosten!”, „Ihr Geschäftsleute seid doch alle Gauner!“): Man schreit sich an und verträgt sich wieder; kein Grund, die Konfiguration des Freundeskreises einseitig zu gestalten. Linker Podemos-Anhänger oder wirtschaftsfreundlicher Ciudadanos-Fan – das spielt dabei keine Rolle.
In Deutschland neigen Tennisspieler dazu, ihr soziales Leben mit anderen Tennisspielern zu organisieren, Heißluftballonfahrer bleiben unter sich, Gourmets gesellen sich zu Gourmets. Ein Jahr lang habe ich in einer deutschen Karikatur gelebt, in Heidenheim an der Brenz, eine Hochburg der Waldorferziehung und Gründungsstadt der Black Jackets. Ob Waldorfgemeinschaft oder Rocker-Subkultur, man bleibt unter sich. In Deutschland zehrt jeder Stammtisch vom eigenen Gedankengut, Kontroverse nicht erwünscht.
Mit den sozialen Netzen hat sich das Problem akzentuiert. Menschen, die anders denken, werden schnell per Klick „entfreundet“ – das ist leider auch auf der Iberischen Halbinsel nicht anders. Denn das, was man im Eifer des Gesprächs verzeiht, wird beim geschriebenen Wort leicht zu einer äußerst unüberwindbaren Barrikade. Deswegen mein in Portugal gestarteter Appell jetzt auch in Deutschland: Bitte entfreundet keine Idioten.
In Deutschland hat Facebook angeblich fast 30 Millionen aktive Nutzer, und viele haben hier zunehmend die Gewohnheit, Idioten einfach zu entfreunden. Zum Beispiel werden Facebookfreunde entfreundet, die aufgrund einer schwächlichen Verfassung an einer notorischen Kriegsbegeisterung oder einer kindischen Islamophobie leiden.
Idioten zu entfreunden ist der erste Schritt zur Bildung von Idiotengettos. Es entstehen online immer mehr Idiotendörfer. Idioten, die nicht mehr unsere Freunde sind, und deswegen keinen Zugang mehr zu intelligenteren Meinungen oder zumindest weniger idiotischen Meinungen haben, weil sie entfreundet wurden, werden nicht weniger idiotisch. Sie werden es mehr. Und wir brauchen nicht mehr Idioten, die nur untereinander reden, damit wir am Ende nur noch mit uns selbst reden wie die Idioten.
Wir müssen weiter mit unseren Idioten leben und reden – das ist unsere Pflicht, das Kreuz, das wir tragen müssen –manchmal über Philosophie, manchmal über Politik oder Fußball und Rapmusik. Bitte entfreunden Sie keine Idioten. Adoptieren Sie einen oder mehrere. Sie brauchen das. Im Facebook wie im richtigen Leben. Frohe Weihnachten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen