WIE SIND WIR DENN DRAUF? : Echt exotisch essen
Kirschblütenzweige sucht man vergebens, und auch die Winkewinkekatze fehlt. Insgesamt ist das Ambiente in der japanischen Nudelbar „Cocolo“ in Mitte eher karg gehalten. Doch was im Suppenteller drapiert ist, lässt die Augen glänzen: Ramen – eine Art japanische Nudelsuppe mit Ei, Soja, Rindfleisch oder Fischkuchen. Schmecken soll das Ganze „authentisch“: Das verspricht zumindest Küchenchef Oliver Prestele.
Zwar deutschen viele Küchenchefs chinesischer, indischer oder mexikanischer Restaurants ihre Gerichte noch immer vorsichtshalber ein – weil sich die Mehrheit ihrer Gäste nur ungern auf wirklich neue Aromen einlässt. Zusatzstoffe wie Glutamat sind dann gang und gäbe, süß-saure Soße geht weg wie warme Semmeln.
Tacos schmecken wie Tacos
Nun jedoch wird auch die Zahl derjenigen Köche mehr, die tatsächlich kocht, wie es in besagten Ländern üblich ist: Tacos schmecken nach Tacos, Ente muss nicht immer süß-sauer sein. Echt exotisches Essen ist angesagt: In Mitte, Kreuzberg oder Charlottenburg überzeugen Restaurants mit authentischer Küche. Denn auch die Feinschmecker, die sich auf neue Geschmacksrichtungen einlassen, werden mehr.
So werden etwa im Friedrichshainer „Same same but different“ Garküchen-Gerichte wie vom thailändischen Straßenmarkt aufgetischt. „Unsere Zutaten werden saisonal und liebevoll zubereitet und nicht durch Chemie zerstört“, verspricht die Mitarbeiterin. Ohne Geschmacksverstärker und Aromazusätze blieben die jeweiligen Produkte gesund und natürlich. Kunden, versichert sie, würden besonders diese bewusste Verarbeitung der Lebensmittel schätzen.
Doch woher kommt die Sehnsucht nach Authentischem? Häufig wurde der gute Geschmack schon bei Reisen ins Ausland getestet. Die Hemmschwelle, Neues zu probieren, sank. Auslandserfahrung bestimmt den Coolnessfaktor: Hip ist derjenige, der auch zu Hause deutlich machen kann, sich erfolgreich durch Wochenmärkte gefuttert zu haben. Und gesund ist das Essen meist außerdem.
Im „Cocolo“ in Mitte etwa will Oliver Prestele, dass sich seine Gäste „wie im Herkunftsland dieser Spezialität fühlen.“ Prestele selbst ist oft nach Japan gereist, zurück in Deutschland suchte er vergebens nach einer ähnlich gut schmeckenden, schnell und fettarm zubereiteten Zwischenmahlzeit wie der japanischen Nudelsuppe Ramen. Also wurde der gebürtige Ingolstädter aktiv.
Seine Suppen richte er nun à la minute an, denn nur so blieben die Zutaten frisch und knackig. Vollkommene Authentizität könnten seine Gäste aber erst dann genießen, sagt Prestele, wenn auch das Drumherum stimmt: Deshalb werden Besucher von japanischer Musik beschallt. Aber Plastikzweige und Winkekatzen? Fehlanzeige. Anne Juliane Wirth