WIE DER SPORT AUS KICKERN KOSMOPOLITEN MACHT : Jürgens Bildungsreise
MARTIN KRAUSS
Das scheint eine Meldung wert zu sein. Bei den Romanisten der weltberühmten Harvard University in den USA bieten zwei Dozenten ein Seminar an, das den Titel „The Global Game: Soccer, Politics and Popular Culture“ trägt. Sogar der britische Independent freut sich, dass sich die beste Universität der Welt nun endlich diesem „beautiful game“ zuwendet.
Ist ja auch schön, wenngleich die Beziehung von Harvard und Fußball ein wenig älter ist als das anstehende Sommersemester, aber so genau will das niemand wissen. Die Alte Welt ist nämlich fest davon überzeugt, dass sie mehr von Fußball versteht als diese kulturlosen Yankees. Ihr erscheint es als Kuriosum, wenn US-Wissenschaftler sich dem kulturellen Phänomen des populärsten Sports der Welt widmen. In Europa jedoch hat der Fußball nicht die Universitäten erobert. „Es gab einflussreiche Industrien, wie die des Fußballspiels“, schrieb schon Robert Musil in seinem 1930 erschienenen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, „aber man zögerte noch, ihnen an den technischen Hochschulen Lehrstühle aufzustellen.“ An anderer Stelle schrieb Musil, dass der Sport seinen Sprung zur akademischen Disziplin fast geschafft hätte: „Verhältnismäßig einfach, wenn ein Fußballverein anregte, seinem Rechtsaußen den Professorentitel zu verleihen, um die Wichtigkeit der neuzeitlichen Körperkultur zu dokumentieren; denn da konnte man immerhin Entgegenkommen in Aussicht stellen.“
Nicht gleich einen Professorentitel, aber immerhin eine Langzeitdozentur gab es nun eben nicht in Europa, sondern in den USA: Alex Ferguson, langjähriger Erfolgstrainer von Manchester United, trat sie 2014 in Harvard an und hielt eine Vorlesung zum „Business of Entertainment, Media and Sports“. Und bei den Harvard-Romanisten wurde Landon Donovan, amerikanischer Exprofi, der auch schon in Leverkusen und bei Bayern spielte, eingeladen. Er sprach darüber, wie sich unterschiedliche kulturelle Einstellungen im Fußball ausdrücken. In der Sportfachpresse hingegen war der Name Donovan zuletzt in Zusammenhang mit dem Namen Klinsmann gefallen, denn der deutsche Trainer hatte Donovan vor der WM in Brasilien aus dem Team USA geworfen.
Klinsmann wäre durchaus auch ein Thema für das Harvard-Seminar. Seine Biografie steht nämlich ganz besonders für einen Trend, der in den letzten 20, 30 Jahren im Profifußball zu beobachten ist: dass Fußballer durch die Ausübung ihres Sports zu polyglotten Weltbürgern werden. Klinsmann spielte zunächst in Stuttgart, bei den Kickers und dem VfB, und sein Vater hatte ihm, als er nach seiner Bäckerlehre Profi wurde, das Versprechen abgenommen, nie beim FC Bayern zu spielen.
Er ging zu Inter Mailand, wo er Italienisch lernte; beim AS Monaco lernte er Französisch; und bei Tottenham Hotspur verbesserte Klinsmann sein Englisch. Dann kam die wohl nachhaltigste Emanzipation von alten Fußballwerten: Klinsmann wechselte doch zu den Bayern. Später führte er dort als Coach wissenschaftliche Methoden der Trainingssteuerung ein, und als er das Team USA übernahm, lernte er noch Spanisch – ein Weltbürger nicht trotz, sondern wegen des Fußballs.
Einzigartig ist dieses Phänomen nicht. Die Liste solcher Profis ist lang. Auch Donovan gehört zu den Kickern, die den Fußball nicht nur dazu nutzten, um in Bauherrenmodelle zu investieren und die Knöllchen zu bezahlen, die ganz natürlich anfallen, wenn man mit seiner Nobelkarosse durch die Stadt brettert. En passant dürfte auch das letzte Geheimnis des Komplexes „Fußball und Harvard“ geklärt sein: warum nämlich ausgerechnet die Romanisten dieses Seminar anbieten. Profifußball ist ein Bildungsroman.