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Archiv-Artikel

WIDERSPRÜCHE MUSS MAN HALT EINFACH AUSHALTEN Erleuchtet in Neukölln

VON ENRICO IPPOLITO

Schauen Sie eigentlich „Enlightened“? Nein? Dann sollten Sie das ändern. Und zwar sofort. Das Porträt der postgeburnouteten Amy Jellicoe auf HBO ist derzeit die erfrischendste TV-Serie. Warum erzähle ich das? Und was hat das mit Berlin zu tun?

Sehr viel. Amy ist eigentlich der Prototyp einer Berlinerin. Sie hat diesen „Eat Pray Love“-Scheiß hinter sich gelassen und kehrt nach Los Angeles zurück, um die Welt zu verbessern. Nicht im kleinen, sondern im ganz großen Stil. Sie will ein besserer Mensch werden, etwas zurückgeben. Und ist dabei wahnsinnig widersprüchlich.

Das ist Berlin. Sie brauchen hier nur mal in einen Yogakurs zu gehen, da merken Sie es schon. Die Modemacherin, die nur Mist designt und sich zum Ausgleich eine überteuerte Yogastunde leistet. Der Schwule, der gehört hat, dass er einen Knackarsch vom Yoga bekommt. Soll es nicht eigentlich um Erleuchtung gehen? OM, Hare, Hare und so. Daran ist erst mal nichts auszusetzen. Wir alle leben mit unserer Widersprüchlichkeit. Aber auch Sie wollen die Scheißwelt zu einem besseren Ort machen? Okay, dann fangen Sie doch bitte bei sich selbst an.

Wir Journalisten stellen uns ja auch immer als Weltverbesserer dar. Aber waren Sie schon mal auf der Berlinale? Nein? Das ist die Pest. Journalisten schubsen einen hin und her, drängeln sich vor und haben immer Angst, einen Film oder eine Pressekonferenz zu verpassen. Die verhalten sich so wie beim Ausverkauf bei Rudis Resterampe. Ich schwöre Ihnen, hätten die Waffen, sie würden schießen.

Die Berlinale ist aber vorbei, und zu meinem Ausgleich fahre ich mit L. nach Spandau. L. fühlt sich ein wenig an sein Heimatdorf in Italien erinnert. Einziger Unterschied: In Spandau werden die Straßenschilder noch in gotischer Schrift geschrieben. Was auch durchaus sinnvoll ist. Der Altersdurchschnitt müsste hier so bei 75 Jahren liegen.

Die Menschen in Spandau wirken normal, die machen sich keine Sorgen um die Welt, sondern um sich selbst. Sie sind auch nicht hektisch. Sie müssen nicht dem heißen Scheiß hinterherjagen. Ein Weg nach Spandau lohnt sich für gestresste Berliner, vor allem wegen der günstigen Secondhandmöbel aus einer anderen Zeit dort und der Trödelhalle.

Bei einem Treffen bei mir in Neukölln (ja, voll Gentrifizierung und so) erzähle ich B. und F. von Spandau. Wir beschließen, gemeinsam zum Möbelkaufen dorthin zu fahren, was wir noch nie gemacht haben – wir sind halt auch so gestresste Berliner. Sport, Arbeit, Urlaub, Yoga hindern uns an so was. Als B. und F. gehen, erzähle ich L., dass ich von einer anderen Zeit träume. Während ich rede, läuft auf dem Plattenspieler Nina Simones „Just in Time“, die Paris-Liveversion aus dem Jahr 68. Eine Zeit ohne Facebook, Twitter und Instagram. Eine Zeit ohne permanente Überforderung. Ach, früher war ja alles besser. Okay, doch nicht: Die ganzen Generationen vorher wollten ja auch immer was verändern.

Als ich am nächsten Tag F. auf dem Weg zur Arbeit treffe, schaut sie irritiert in mein blasses Gesicht. „Vielleicht solltest du endlich wieder zum Yoga gehen!“, sagt sie. Weil es regnet, fahre ich nach Hause. Dort angekommen, trinke ich literweise Kaffee, esse einen Bioapfel, schaue mit L. die neueste Folge „Enlightened“ und erstelle wie Amy einen Twitter-Account.