WER SCHARONS NACHFOLGER ALS PREMIER ISRAELS WIRD, IST VÖLLIG OFFEN : Überraschende Chance für die Opposition
Der liebe Gott meint es nicht gut mit seinem auserwählten Volk. Vor gut zehn Jahren nahm er ihm Jitzhak Rabin und warf mit dessen Tod den Friedensprozess um Längen zurück. Nun geht die Ära Ariel Scharon vorzeitig zu Ende – und wieder versiegt die Hoffnung, die Region zu befrieden. Denn niemand außer dem um sein Leben ringenden Premier scheint derzeit in der Lage, Israel zu einer Lösung mit dem palästinensischen Volk zu führen.
Bis Mittwochabend stand der Sieger der Parlamentswahlen fest: Scharons neue Liste „Kadima“ ließ allen Umfragen zufolge die anderen Parteien weit hinter sich. Es galt als sicher, dass der jetzige Regierungschef auch der neue sein würde. Nun plötzlich ist der Wettlauf zum höchsten Posten im Staat wieder völlig offen, und die Chefs von Likud und Arbeitspartei wittern eine überraschende Chance. Ein Teil derjenigen Politiker, die die großen Fraktionen zu Gunsten der Kadima verließen, mag reumütig zum parteilichen Zuhause zurückkehren, sollte sich für sie die Gewissheit durchsetzen, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben.
Drei Namen stehen zur Debatte, Israel ab Ende März zu regieren: der rechtsnationale Benjamin Netanjahu, der ehemalige Gewerkschaftschef und Sozialpolitiker Amir Peretz und der Kadima-Politiker Ehud Olmert, der derzeit die Amtsgeschäfte im Regierungshaus leitet. Keiner der drei verfügt gleichzeitig über den Willen wie auch die politische Erfahrung und den Rückhalt im Volk, um die schmerzlichen Zugeständnisse durchzusetzen, die nötig wären, um eine Friedenslösung zu erreichen.
Ob Scharon seinem Land tatsächlich den Frieden gebracht hätte, wird der Welt auf ewig ein Rätsel bleiben. Zu vage sind seine eigenen Stellungnahmen zur Fortsetzung der „Roadmap“ einerseits und die konkreten Regierungsentscheidungen andererseits, die nicht selten in direktem Gegensatz dazu standen, wenn es etwa um den Bau jüdischer Siedlungen ging. Fest steht, dass sich Scharon mit der Gründung der Kadima die letzten Hindernisse auf dem Weg zu einem Kompromiss beiseite geräumt hatte. Wenn er wollte, dann hätte er den Frieden erreichen können. SUSANNE KNAUL