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Archiv-Artikel

WENN MÄNNER MÄCHTIG VERÄRGERT SIND, IST DAS WEGEN DIESER GLEICHBERECHTIGUNGSGESCHICHTE Klaus aus dem Internet

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Mit dem ICE fuhr ich von Berlin nach Hamburg, mein Koffer war schwer, und bevor ich einen ernsthaften Versuch machen konnte, ihn über meinen Kopf zu stemmen, war der junge Mann schon da und hatte ihn auf die Ablage geschleudert. Solche jungen und auch älteren Männer, die aufspringen und Koffer hochschleudern, habe ich sehr gern. Sie sind nicht nur hilfsbereit, sie beeilen sich noch dabei, hilfsbereit zu sein. Sie reißen die Tür auf, sie lassen den Vortritt und sie heben Runtergefallenes auf.

Es kommt mir ganz fabelhaft vor, wenn ein Mann seine muskulösen Arme reckt und meinen Koffer stemmt. Ich lächele ihn an und ich bedanke mich. Ich denke, er freut sich dann, und ich freue mich dann auch, alle freuen sich, es bedeutet einen ganz allgemeinen Gewinn an Freude.

Was ich letztens aber las, und man soll ja keine Kommentare im Internet lesen, war in etwa folgender Beitrag eines anderen jungen Mannes, nennen wir ihn Klaus: „Im Zug fragte mich letztens eine Frau, ob ich ihren Koffer in die Ablage heben könnte und ich antwortete ihr, Ihr wollt doch jetzt so gleichberechtigt sein, dann könnt ihr auch selber euren Koffer stemmen.“

Lasse ich mal beiseite, dass der Kommentar ziemlich viele Likes bekam, und lasse ich auch beiseite, dass ich dem Klaus von dieser Stelle aus zurufen möchte: „Dann fick dich aber auch selber, du armseliger Wicht!“, dann hat mich doch dieser Kommentar eine Weile beschäftigt, insbesondere erinnerte ich mich wieder daran, als ich diese Woche mit dem Zug fuhr und besagter junger Mann so sexy meinen Koffer stemmte und wir alle uns miteinander freuten.

Ich denke mir das Ganze so: Es ist hier jemand verärgert. Der Mann ist mächtig verärgert und gekränkt und alles, wegen der Gleichberechtigungsgeschichte. Der Mann will nicht mehr die Koffer heben, wenn die Frau den gleichen Lohn will, oder arbeiten, wenn das Kind da ist, oder weibliche Endungen und all den Quatsch. Da geht der Mann ganz kaputt davon und im Gegenzug will der Mann dann auch nicht mehr den Koffer heben.

Das ist doch schon ganz schön verständlich. Denn der Mann hebt den Koffer nur aus einem Grund – weil er über der Frau steht. Er ist stärker, er hat von Natur aus mehr Muskeln und sein Gehirn funktioniert ganz anders, männlich eben, und das männliche Gehirn arbeitet viel rationaler und auch das bedeutet am Ende dann besser. Das weiß jeder.

Andersherum, wenn die Frau jetzt ungerechterweise (obwohl sie schwächer ist) an den Vorrechten des Mannes sägt, dann darf sie auch ihre eigenen Vorteile als schwaches Vögelein nicht mehr genießen. So ungefähr hat sich Klaus aus dem Internet das gedacht. Und hat den dicken Trumpf aus dem Socken gezogen. Der Mann also MUSS JETZT NICHT MEHR HILFSBEREIT GEGENÜBER DER FRAU SEIN! Die Frau hat es ja selber so gewollt. Die eine Frau im Zug hat dann von dem Mann Klaus stellvertretend die Quittung für den Gleichberechtigungsdrang aller Frauen bekommen.

Was man hieraus lernen kann: Der Mann gibt seine goldene Gabe der Hilfsbereitschaft und Höflichkeit nicht für lau her. Im Gegenzug will er Unterordnung von der Frau. Das trifft für Klaus aus dem Internet zu und die 27, die seinen Beitrag geliked haben. Und für noch ein paar mehr. Und dann gibt es natürlich noch die, die nie Koffer stemmen, weil ihnen der Drang zur Hilfsbereitschaft und Höflichkeit abgeht. Solche Männer soll es geben. Solche Frauen auch.

Frauen stemmen nämlich auch manchmal Koffer für andere. Ich zum Beispiel für zarte Seniorinnen und einmal auch für einen zerbrechlichen, kleinen Senior, ich lasse Kindern den Vortritt, ich bücke mich nach jedem heruntergefallenen Gegenstand, für wen auch immer. Und dafür kriege ich nichts. Dafür kriegen wir alle nichts, Klaus aus dem Internet, außer vielleicht eine Welt, in der es ein bisschen nett und süß und sexy zugeht.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.