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Archiv-Artikel

WAS PASSIERT, WENN DIE WM EIN LAND HEIMSUCHT Arbeitssklaven des Fußballs

Über Ball und die Welt

MARTIN KRAUSS

Reden wir nicht über Katar. Aber reden wir über Sklavenarbeit, die es dort gibt, wo der Weltfußball Station macht. Reden wir über Brasilien. Der Begriff Sklavenarbeit wird auch von brasilianischen Behörden gebraucht: Trabalho Escravo Moderno. Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) definiert das so: „Jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.“

Im Sommer 2014 findet in Brasilien die WM statt. Doch während das Emirat Katar derzeit wegen miserabler Arbeitsbedingungen von nepalesischen Bauarbeitern angegriffen wird, ist von der Sklavenarbeit im Land der sozialdemokratischen Präsidentin Dilma Rousseff selten die Rede. Jüngst entdeckten Inspektoren bei Arbeiten am Flughafen von São Paulo – einem WM-Projekt –, dass 111 Menschen unter Bedingungen schuften müssen, die vom brasilianischen Gesetz als „Sklavenarbeit“ bezeichnet werden.

Zwischen 2003 und 2011 wurden insgesamt 33.392 Menschen von der Polizei aus ihrer Versklavung befreit. „Betroffen sind in erster Linie temporäre Arbeitsmigranten“, schreibt die Wissenschaftlerin Lisa Carstensen, „die über Arbeitsvermittler oder informelle Zeitarbeitsagenturen in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse geraten.“ Meist haben sie sich, um nach Brasilien gelangen zu können, hoffnungslos verschuldet und sind ihren Chefs völlig ausgeliefert.

Wenn der große Sport ein Land heimsucht, geht es selten ohne Zumutungen für die Menschen ab, die die Großevents herstellen sollen. Ebenso groß sind die Versprechungen: Arbeitsplätze, Infrastruktur, internationale Aufmerksamkeit. Der amerikanische Sportjournalist Dave Zirin nennt diese Events „neoliberale trojanische Pferde“. Weil Sportereignisse als etwas Schönes gelten, sind viele Menschen bereit, dafür auf garantierte Arbeitnehmerrechte zu verzichten. Das bleibt nicht folgenlos: Vor der Fußball-EM 2012 kam es in Polen zu 6, in der Ukraine gar zu 14 Todesfällen bei den Stadionbauarbeiten. Vor der Fußball-WM 2010 in Südafrika waren in den Arbeitsverträgen Lohnerhöhungen und die Absicherung in Folge von Arbeitslosigkeit großflächig ausgeschlossen worden – es ging ja um das große nationale Projekt Fußball-WM. Erst durch einen Streik von 70.000 Bauarbeitern konnten Mindeststandards durchgesetzt werden.

Damals wie heute gibt es immer Menschen, die glauben, sie müssten an den Weltfußballverband appellieren, damit der für die Rechte der Arbeiter eintrete. Doch diese Idee ist etwa so dumm, als wende man sich an den Werkschutz, um den vom Chef einbehaltenen Lohn zu erhalten. Als in diesem Sommer während des Confed Cups die Sozialproteste Brasilien erschütterten, erklärte Fifa-Chef Blatter: „Ich kann verstehen, dass die Menschen nicht glücklich sind. Aber sie sollten nicht den Fußball benutzen, damit ihre Forderungen gehört werden.“ Richtig ist: Um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, müssen wir auch den Fußball benutzen. Reden wir nicht über Katar, reden wir über die Fifa.