WAS MACHT EIGENTLICH ... der rauchende Kneipenwirt? : Demonstrieren
Norbert Raeder, Wirt der Reinickendorfer Kneipe Kastanienwäldchen, organisierte am Samstag seine erste Demo: gegen das Rauchverbot. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) half ihm dabei nicht: Sie engagiert sich für die „Gesundheit der Beschäftigten im Gastgewerbe“ und also für das Rauchverbot. Dafür bekam Raeder Unterstützung von seiner Partei Die Grauen sowie von der Bloggerin „Miss Fallen“, die ein außergewöhnlich kluges Flugblatt verteilen ließ (http://missFallen .blogspot.com).
Es geht darin um den derzeitigen Umbau des mangelhaften Sozialstaats zu einem schweinischen Moralstaat. Das Rauchverbot ist dabei nur eine von vielen Restriktionen, die als ethisch geboten daherkommen. Wenn es jedoch nicht mehr um den Kampf für eine bessere Gesellschaft geht, sondern im Gegenteil als höchstes Gut etwas Gegebenes – das Leben zum Beispiel – angenommen und die Ethik als Erhaltung dieses Gutes definiert wird, dann ist Schluss mit der Ethik, und wir haben es mit einer bloßen Lebens-Ideologie – mit „amerikanischem Faschismus“ – zu tun.
Die von Raeder so genannte „größte Raucher-Demo Berlins“ mit 500 Teilnehmern vom Brandenburger Tor zum Roten Rathaus wurde auch von vielen Kneipenwirten und ihren Stammgästen unterstützt – die meisten kamen aus dem Norden Berlins. An sich wollen jedoch überall die Betreiber von Eckkneipen – „Bollwerke des Proletariats“ von Kautsky einst genannt – vom Rauchverbot befreit werden, sieht man von den Touristenlokalen ab, wo es um einen schnellen Durchlauf, wie in den USA üblich, geht: Essen, trinken, bezahlen – und tschüss.
Wenn man das Rauchen als schlechte „Gewohnheit der Unterschicht“ begreift, muss man auch hinnehmen, dass für sie die Kneipe ein „zweites Zuhause“ ist, wo man es sich „gemütlich“ macht – und ersma eene roocht. HELMUT HÖGE FOTO: AP