WARUM DIE TATSÄCHLICHE KRIMINALITÄT IN SCHLESWIG-HOLSTEIN KEINE CHANCE GEGEN DIE GEFÜHLTE HAT : Verbotene Elektroschocker und die Kuscheljustiz
KATRIN SEDDIG
Offene einladende Grenzen, Nichteinsperren von Mehrfachstraftätern, Kuscheljustiz – Kein Wunder, dass man um sein hab und Gut, Leben und Gesundheit Angst haben muss!“ (Rechtschreibung belassen), heißt es in einem Kommentar eines Lesers des Holsteinischen Couriers, der sich „Der Kieler“ nennt. Er bedauert des Weiteren, dass dem „Normalbürger“ sogar die Elektroschocker verboten worden sind. So sieht das also aus in Schleswig-Holstein, amerikanische Verhältnisse anscheinend.
Die Kriminalstatistik Schleswig-Holstein 2014 zeigt, dass die Kriminalität in den vergangenen zehn Jahren um ca. 17 Prozent gesunken ist. Aber was ist Statistik gegen Gefühl? 7.529 Fälle von Wohnungseinbrüchen gab es 2014 immerhin in Schleswig-Holstein und das stellt angeblich auch den Schwerpunkt der Polizeiarbeit dar. In einem Land, wo überall verstreut mal ein Haus steht, ist so eine Überwachung vielleicht nicht so einfach und bietet sich das Einbrechen vermutlich an.
In manchen Gegenden hat sich deshalb, vielleicht auch nach amerikanischem Vorbild, eine Bürgerwehr gebildet. „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen“, heißt es im § 127 Abs. 1 der Strafprozessordnung, dem Paragrafen über die sogenannte Jedermann-Festnahme.
Der Bürger, der sich wehren oder auch beeindrucken will, und dem nun unglücklicherweise also auch noch der Elektroschocker von der Kuscheljustiz verboten worden ist, greift dann halt zu dem, was er hat, zum Beispiel zu einem Samurai-Schwert, wie geschehen in Büdelsdorf, im Kreis Rendsburg-Eckernförde, wo die Bürgerwehr ein Schmiere stehendes Mädchen und seinen Gefährten bei einem Einbruch stellen konnten. Auch in Elmshorn haben Kleingärtner nach einer 270 Einbrüche währenden Erfolgsserie einen Einbrecher schnappen können. Und in Großhansdorf, einem Vorort von Hamburg, in dem sich Villa an Villa reiht, wacht eine 120 Mitglieder starke Bürgerwehr (Durchschnittsalter 70 Jahre) erfolgreich seit immerhin schon 20 Jahren über Recht und Besitz. 2009 forderte die Lübecker Bürgerschaft „Bürger für Lübeck“ sogar so etwas Ähnliches wie die Einführung eines privaten Polizeidienstes.
Sowas gibt es irgendwo anders in Deutschland auch schon. Zum Beispiel in Baden Württemberg, da kriegen die willigen Bürger eine zweiwöchige Grundausbildung und anschließend sogar Uniform und Funkgerät und dürfen dann so auf Streife gehen. Das hätte der „Bürger für Lübeck“ auch gern, aber bis jetzt gibt es das da noch nicht.
Schleswig-Holsteins CDU-Landtagsfraktion fordert aber jetzt die Landesregierung auf, im Zusammenhang mit den gefühlt zunehmenden Bürgerwehren, den Stellenabbau bei der Polizei zu überdenken und hat für die kommende Landtagssitzung einen entsprechenden Antrag gestellt. Wenn der Bürger sich genötigt sieht, selbst die Aufgaben der Polizei zu übernehmen, so die Argumentation, dann muss die Polizei einfach präsenter sein. Und besser ausgestattet. Tatsächlich kostet das Geld und tatsächlich hat Schleswig-Holstein anscheinend keine besonders hohe Polizeidichte, verglichen mit anderen Bundesländern und hat in letzter Zeit auch ein bisschen abgebaut und gespart.
Vielleicht kann man das überdenken, vielleicht ist das falsch, vielleicht ist das aber auch okay. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich kein gutes Gefühl bei Bürgerwehren habe. Vielleicht, weil ich ungern von einem Bürger mit Elektroschocker und Samuraischwert behandelt werden möchte, weil er mich für dringend tatverdächtig hält, weil ich vielleicht seiner Vorstellung von einem entspreche, der gerade über die „offene einladende Grenze“ gehuscht ist?
Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr neuer Roman „Eine Nacht und alles“ erscheint im März 2015. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.