piwik no script img

WAND UND BODENArchaische Eisengeschöpfe und Undergroundpathos

■ Kunst in Berlin jetzt: NY-Multiples, Stahlutensilien der »Toten Hühner« und Neue Malerei weltumspannend

Ein Minimalist mit Humor: Sol Lewitt hat sich im Verlauf der letzten sechs Jahre vom strengen Planer zum plauderwilligen Maler gewandelt. Die Galerie Franck & Schulte zeigt seine aktuellen »Irregular Vertical Bands«, zittrige Farbstreifen in matten Tönen, die Lewitt fast wie einen Rückzug gegenüber den früheren Raumarbeiten gestaltet hat. Lewitt konfrontiert den Raum nicht mehr mit Maßstab und Konstrukt, sondern schmückt ihn wie ein bürgerliches Interieur mit Bildern. Zwischen den einzelnen Blättern entwickeln sich Relationen, die ohne einen Idealentwurf lediglich auf die Struktur ihrer Referenz bauen. Ein Verhältnis ergibt sich nur in der Abweichung der unterscheidbaren Nuancen, von erdnahem Siena zu feurigem Rot. Kommunizierende Farbfelder, die erst in der Gesamtschau zu senden beginnen.

Im vorderen Raum hat sich Helmut Federle vom Großformat verabschiedet und sein Augenmerk auf das Zusammenspiel von Visualität und Prozeß gerichtet. Er läßt im Verlauf von 16 Tafeln in der Größe eines Schulheftes vier Quadrate schrittweise ineinanderwachsen, zur Hälfte der Reihe wird dann der so entstehende abstrakte Knoten zu Rechtecken verwandelt und allmählich wieder aufgelöst. Dichte entsteht nur für einen kurzen Augenblick. Nebenbei verschieben sich jedoch Perspektive und Dynamik der geometrischen Form. Von links nach rechts betrachtet, verläuft die Transformation in einem illusionistischen Raum, gegen den Strich gelesen, bleiben die Tafeln flach. Die Symbiose der Formmittel findet auf keinem der Exponate statt. Immer folgt nur eins dem anderen, ohne sich auf ein zentrales Bild zu beziehen. Spröde, aber elegante Malerei, wie sie nur am Schreibtisch entwickelt werden kann.

Helmut Federle, Hamish Fulton, Sol Lewitt, bis 14.9., Galerie Franck & Schulte, Mommsenstraße 56, Mo.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 10-15 Uhr.

Bei Carola Mösch hat man das Gefühl, ein Spiegelkabinett der gegenwärtigen Zeichendiskussion zu betreten. Von allen Seiten springen einem Anspielungen, Parodien und Verweise auf Kitsch, den Kunstmarkt und das Problem der »Identität als Kopie« ins Auge, ohne daß sich die verführerische Absicht an der künstlerischen Einsicht bricht. Peter Halley malt mit »Prison« seine Auseinandersetzung mit der sublimen Monochromie von Barnett Newman aus — anhand der Gedanken Foucaults über das Gefängnis als Struktur der Öffentlichkeit. Der Blick fällt mit dem Gegenstand zusammen, er kann sich nicht von der Darstellung des programmatischen Wissens lösen. Einzig und allein das Symbol »konzeptueller Einkerkerung« bleibt lesbar. Auch Meyer Vaisman setzt mit dem Auflagenobjekt »Coins« die Zeichen beängstigend deutlich. Die sechs in einer Kirschholzschachtel präsentierten Münzen stellen den Betrachter vor die vollendete »Tatsache«, daß Kunst sich an der ihr eigenen Wertaufbewahrungsfunktion bemesse. Die Karikatur des Künstlers als ironische Münzprägung wiederholt den äußeren Rahmen und verinnerlicht damit die Kontroverse, ohne daß ein Rest an Verunsicherung übrigbleibt.

Cindy Sherman treibt den Prozeß der in sich gekehrten Auslegung auf die Spitze. Ihr Siebdruck-Puzzle »Untitled« ergibt — wenn zusammengelegt — die Abbildung einer grotesken Szene, in der künstliche Hände ein »Originalgemälde« zusammensetzen — als Puzzle. Zusätzlicher Aktivist der Szene — allerdings im Größenmaßstab mindestens eine Dimension kleiner als die fürchterlichen Hände — ist ein im Spiel gefangener, nasebohrender Junge, als der sich Sherman diesmal in die fotografische Szene hineinportraitiert. Eine Frage zum Grübeln: »Was passiert, wenn das Spiel beendet ist?«

Multiples & Editions, bis 5.9., Galerie Carola Mösch, Pariser Straße 2, Di.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 11-14 Uhr.

Verglichen mit dem Militaria-Skulpturenpark, den die Mutoid Waste Company am gegenüberliegenden Ufer des Reichstags hat, wirken die Stahlutensilien der Dead Chickens wie Kinderzimmerdekorationen aus einem »Mad Max«-Verschnitt. Anders als im brutalen Gegenkriegsentwurf der englischen Schrottkonstrukteure schimmert in dem Gruppenszenario, das die Raab-Galerie noch bis zum 12.9. ausstellt, mehr als nur der schicke Verweis auf Cyberspace und Splatterkultur durch. Die Horrorfiguren sind schützende Masken eines bedrohten Künstlersubjekts. Liebevoll mit dritten Augen, diversen Armpaaren der Göttin Shiva und anderen Devotionalien versehen, erscheinen die archaischen Eisengeschöpfe nach bald zehnjähriger Entwicklungszeit als Platzhalter eines fast religiösen Pathos des Underground. Cronenberg hätte zumindest das Schockmoment von der handwerklich sauber gearbeiteten Oberfläche der Gruselobjekte in die Psyche verlagert. Die Dead Chickens jedoch erzählen von märchenhaften Alpträumen. Momos ohne Ende.

Den Fotos von Mike Hughes haftet tatsächlich der Schrecken an. Sein einäugiger Embryo ist kein Monster; es ist nicht ganz Mensch geworden, sondern nur Objekt. Ausstellungsobjekt in einer Präparatesammlung. Der starren Kreatur hängen ähnliche Motive ausgestopfter Rehe und in Wachs modellierter Kleinfamilien zur Seite. Mit der Kamera bricht die Distanz zum leblosen Wesen auf. Hughes bildet selbst das Tote nur als Fassade ab. Nach einiger Zeit belastet der eigene Blick, als wäre man in eine Nekrophilen- Peepshow geraten.

Roman Banerjee, Dead Chickens, Giò Di Sera, Mike Hughes, Klaus-Peter Vellguth, Raab-Galerie, Potsdamer Straße 58, Mo.-Fr. 10-18.30, Sa. 11-14 Uhr.

Manchmal hilft das Attribut »neu«, die Scheu vor unbekannten und kaum erfahrenen Künstlern abzubauen. Die Ausstellung »Neue Malerei: Von St. Petersburg bis New York« tut damit ihren Exponenten jedoch keinen großen Gefallen. Den Arbeiten fehlt jede verbindliche Handschrift, die aus der chaotischen Aneinanderreihung von Zeichen eine lesbare Bildsprache machen könnte. Victoria Howard kritzelt auf Bananenschalen seltsame Hieroglyphen, die in Serie mehr dem Wunsch nach Kommunikation als dessen Wirklichkeit entsprechen. Selbst der innere Zusammenhalt ist einzig kryptischer Natur. Auch die Schablonenbilder von Andrej Lus überfordern die Auslegung. Neben technoiden Strichmännchen stehen Sätze, die er aus dem Wissensgrundstock des Ilya Kabakov abgeschrieben hat. Dessen Vorstellung von »Leere« und »Pseudoexistenz« halten die luftigen Graffiti allerdings nicht im geringsten Stand. Kernig und clever, aber nur wenig einleuchtend. Bei Tinatin Kukawa muß man dann schon sehr weit in die Geschichte der Malerei zurückgehen, um verwundert festzustellen, daß der Vorwurf von Barnett Newman gegen Mondrian und dessen Gestaltung als Dekor vielleicht richtig war. Die abstrakt- poetischen Ölgemälde des Autodidakten aus Suchumi reihen sich schonungslos in die sie umgebende Geometrie ein. Dem Maler ist der Hintergrund verrutscht, was zu komischen Situationen führt. Auf »Menschen in der Stadt« nehmen die Gesichter die zarten grünblauen und violetten Farbtöne einer Badezimmertapete an. Für »Antlitz V« hat er dann wirklich ungemein schöne Abstufungen in Braun gefunden, die unter der glasigen Oberfläche ein Schimmern in der Tiefe erzeugen, wie es von Rembrandt und alten Meistern bekannt ist, auch wenn der Vergleich, einmal überdacht, mächtig hinkt. Harald Fricke

Bis 13.9. in der Kultur-Brauerei, Schönhauser Allee 36/39, Mo.-Sa.10—18.00 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen