WAND UND BODEN: Gold glänzt
■ Kunst in Berlin jetzt: Farbe Gold, Farbe-Plastik, Emigholze
Wie man im öffentlichen Raum unter dem Deckmäntelchen der Erbauung Orgien feiern kann, haben die Stars von Kassel gezeigt. In Berlin scheinen die Verwalter sich dagegen noch im Tête-à-tête mit der Kunst zu üben. Der Ort dafür könnte nicht besser gewählt sein. Die Obere Galerie lockt mit einer PoMo-Fassade zwischen Schwabinger Kiezkneipe und Berliner Krupp- Stahl-Exterieur. Innen ist aber alles wie früher, selbst der geknüpfte Bastteppichboden hat hier über den anthrazitfarbenen PVC-Standard obsiegt. Schwieriger ist dann schon, etwas über Sinn und Zweck der Exponate in Erfahrung zu bringen. Wer will, kann in einem schlicht aufgemachten Katalog den neuesten Stand der Zeichenforschung in bezug auf die transzendentale Macht der Farbe Gold nachlesen, die ausgestellten Bilder und Objekte sind allerdings von der Theorie recht unberührt geblieben. Transzendent ist, was erhaben macht, und Gold glänzt. Statt sich an der Undurchdringlichkeit des ewigstrahlenden Farbtones zu versuchen, haben die meisten KünstlerInnen auf eine moralische Tendenz gesetzt. Ikonen der Betroffenheit. Das Blattgold wird zur zerknüllten Alufolie oder zum schmutzig schimmernden Materialbild, ohne seine selbstreferentiellen Reize einzubüßen. Warhols »Lenin«-Druck (in Gold) ironisiert zwar das Spiel mit dem Herrscherbild des byzantinischen Christentums, bleibt aber verläßlich an die blendende Wirkung des Farbmaterials gebunden. Nur bei Milovan de Stil Markowic findet eine Durchbrechung der Täuschung statt. Er hat im mittleren Teil des Tryptichons »Prototypes« Blattgold in Verbindung mit Bienenwachs verarbeitet und auf eine Europalette aus dem Supermarkt aufgetragen. Die Alltäglichkeit bettet den Schein des Außergewöhnlichen versöhnlich ein. Ansonsten bleibt die Fragestellung »Farbe Gold — Dekor, Metapher, Symbol« auf der Strecke. Gold ist selbst schon Ikone, bildgewordenes Material. Es gibt Dinge, die kann man nicht malen, weil sie bereits Bilder sind.
»Farbe Gold«, bis zum 18.10., Di.-So. 11-18 Uhr, Obere Galerie im Haus am Lützowplatz 9
Auch in der Galerie am Pariser Platz wird nichts von dem eingelöst, was sich hinter dem Ausstellungstitel Farbe in der Plastik als Problem vermuten ließe. Hier können Akademiker im schulgerechten Atelierambiente Objekte aneinanderreihen, die weder Krieg noch Frieden nach sich ziehen. Klaus Dennhardt bemalt Pappe mit Gesichtszügen aus dem Realismus, stellt sie im rechten Winkel vor eine Wand und kontrastiert den figurativen Akt mit einem gemalten Schattenwurf in scheußlichem Blau. Martin Wilke hat den Indianern die Schnitztechnik abgeguckt, seine Totempfähle dann aber nicht schmuckvoll ornamentiert, sondern gestisch in Farbe getunkt. Die HdK-Professoren Joachim Schmettau und Rolf Szymanksi nehmen das Handwerk wiederum zu ernst, als daß sie ihre Objekte in Spannung mit Ironie oder zumindest gewandeltem Bewußtsein setzen würden. Dadurch wirken der bemalte Gips und die gebeizte Bronze ziemlich rechthaberisch in ihrer selbstbezüglich-biographischen Anlage. Bei Marie- Luise Faber merkt man indes noch einen Funken an Unbekümmertheit, der ihr einen unmittelbaren Zugang zum farbigen Material sichert. Sie knüpft Wäschefetzen aus der Altkleidersammlung über ein Kleiderbügelgeflecht zusammen. Die so entstandenen Flitterfiguren sehen aus, als ob sich Mike Kelly der existentiellen Sorgen eines Giacometti angenommen hätte. Draußen vor der Tür stolpert man dann noch beinahe über die Plastik von Knut Seim, dessen »The Golden Masturbator« seinen Pimmel aus Ziegelsteinen knapp fünf Meter weit ausgerollt hat. Die Backsteine sind teilweise golden bemalt, aber dieses Problem löst Seim natürlich auch nicht, indem er die farbige Plastik mit dickem Schwanz auslegt.
Galerie am Pariser Platz, 14-19 Uhr, bis 27.9.
Abb.: Hans Emigholz, »Kleine Enzyklopädie der Photographie«Abb. »Die Republik«. Nr. 89-90
Mit den Dingen sieht Heinz Emigholz. Und mit diesem Blick entfernt sich der Künstler vom rechten Winkel, von der Draufsicht, der die Betrachtung das Ordnungssystem der Perspektive verdankt. Die von ihm gezeichneten Gegenstände schwimmen in den Dimensionen, plane Flächen und Aufrißdarstellungen werden kaum noch unterscheidbar. Das Abbild spricht nicht mehr die verbindliche Sprache des wahrnehmenden Auges. Man könnte fast meinen, Emigholz hätte an der Umkehrung der Sicht auf die Welt herumexperimentiert. Zumindest zeugen die zahlreichen Arbeiten im Künstlerhaus Bethanien von einer spiralig sich windenden und verschiebenden Gegenständlichkeit. Mit den überspitzt klaren Ausdrucksmitteln des Comic stellt er ein tagebuchartig verfaßtes Zeitnetz aus, in dem Ereignisse des Privaten, der Politik, der Geschichte und der Kunst festgehalten werden. Neben einem Porträt von Sigmund Freud mit kleinem Jungen hängt eine Rekonstruktionsskizze des Kugelverlaufs beim »Selbstmord« von Andreas Baader, der Rußlandfeldzug der Fünften Kolonne ist mit Dominaphantasien überblendet worden. Jedes Einzelbild in der wandumspannenden Serie ist nach einem genormten Format angeführt, das den Zusammenhang der Gegenstände objektiviert, während die Perspektive willkürlich hin und her springt. Dadurch entsteht vage das Gefühl, in Zeitstrukturen des nouveau roman eingefaßt zu sein, die allen Bildern das Indiz der visuellen Referenz entziehen. Das geordnete Sehen wird zum »possible material«, mit dem Emigholz arbeitet, demgegenüber das supplementierende Zeichenchaos der Natur überwiegt. Vielleicht kann ein Beispiel die Verwandlung (oder sollte man lieber sagen: Travestie?) der Motive verdeutlichen: Das in Bunuels Film »L'age d'or« trickreich durchtrennte Pferdeauge wird aus der zerrissenen Montage zurück in den Tierkopf versetzt. Dort ändert Emigholz die Handlung. Aus dem Schnitt mit dem Skalpell macht er eine Bürste, die Pferdewimpern kämmt. Den Verweis erkennt man sofort, für das tatsächliche Bild aber muß man vor Ort anders, nämlich relativ sehen lernen.
»Photographie und jenseits«, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, täglich außer montags 14-19 Uhr, bis 20.9. Harald Fricke
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