WAND UND BODEN: Eigentlich ein peinliches Thema: Liebe
■ Kunst in Berlin jetzt: Edward & Nancy Kienholz, Max Schepers, Blalla W. Hallman, Jussi Niva
Manchmal finden Orpheus und Eurydike zueinander. Sie gründen dann eine Band, um die Balladen von John & Oko zu singen, oder um dem Frieden eine Chance zu geben. Edward & Nancy Kienholz malen zusammen, im Geist der Pop-art und »in peace«, wie sie es als Gruß unter ihre Einladungskarte haben setzen lassen. Acht »drawings«, eine Mischung aus Materialbild, Relief und Realobjekt, sind aus der jüngsten Produktionspaarung der beiden hervorgegangen, die die Galerie Redmann noch bis zum 26. 9. zeigt.
Das Leben wird nach dem Prinzip eines Karussells, als The Merry-Go-World vorgeführt. Diese Welt hat nur einen Haken: fünf Achtel der Weltbevölkerung repräsentieren die Ärmsten der Armen, zwei Achtel die Mittelschicht und das letzte Achtel teilt sich den Reichtum des Planeten. »Wir glauben, daß diese Aufteilung der Realität annähernd entspricht«, so das Arbeitsresümee der Kienholz'. Aber anders als in der etwas naseweisen Benettonreklame versucht das Künstlerpaar, den Wandel von nacktem Überleben in dekorative Tragik nicht als Schicksal in einer bunten Welt auszulegen. In den tafelartigen Environments wird die Armut nicht auf Zeichen reduziert, sondern ihre Prägung rekonstruiert: Totems auf dem Hintergrund von Wellblechen in »Africa«; Plastikgeschirr im Ghetto der »American Black«; ein Holzverschlag für die »American Indian«; und barockes Brokatimitat und Schokolinsen in Goldtalerform als Bild der Stilvielfalt europäischer Boheme — »French«.
Mit einer Leistungsschau in Sachen gobaler Gesellschaftskritik haben die Arrangements indes nichts im Sinn, vielmehr versuchen die Kienholz' mit ihrem Entwurf einer Art Reisetagebuch die ferne Nähe zu schildern. Das erinnerte Summen der Fliegen im Garten von Proust oder die zertretene Dose Chinacola auf einem Tableau in der Galerie: Künstler wählen die Zeichen aus, aber sie bedingen sie nicht. Die Wirklichkeit hat immer noch ein neuntes Achtel in Reserve — ihre »annähernde« Differenz.
Kurfürstendamm 199, Di.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 11-14 Uhr.
Eigentlich ein peinliches Thema: Liebe. Entweder man empfindet sie oder nicht, Kunst hilft da nicht viel weiter. Statt dessen verwechseln Bildner in der Regel Liebe und Sex oder Leidenschaft und Pornographie, als würde ihnen die Verpflichtung auf das Obszöne jede Neigung nehmen. Der Ausdruck im Gesicht von Jeff Koons beim Höhepunkt: finaler Fickfatalismus.
Marc Schepers versucht es andersherum, er spürt der Liebe nicht gemäß ihrer Form nach, sondern der Struktur, in der sie sich ereignet. Seine Beispiele klingen wildromantisch und zugleich artifiziell fremd: Die Geste, mit der frau ein Glas Milch abstellt, die Falte im Kleid eines Mannequins. Männerblicke, in denen sich Empfindung und Wahrnehmung als Poesie und Disziplin vermischen. Truffaut und Godard treffen sich auf dem Schneidetisch wieder, an dem Schepers Zeitungsphotos zu Collagen montiert. So verschmelzen nicht die Liebenden miteinander, sondern Halskette und Lenkrad. Die Gesten bleiben in allen Bildern, die der Belgier neu zusammengefügt hat, getrennt, die Symbole hingegen verwachsen, nachdem sich der Künstler ihrer Ähnlichkeit vergewissert hat. Liebe ist eine Parenthese, die sich zwischen Unvereinbares schiebt, diese Form zumindest gibt Schepers seinen Schöpfungen. Das Verhältnis bleibt demnach offen und allein vom Betrachter einzulösen, dem die Bild-Metaphern eine Fülle an lesbarem Material liefern, »wie ein frohlockender und schuldiger Ritt zwischen Meditation und Obszönität, Fülle des Sinns und Aushöhlung des Sinns«, wie es Julia Kristeva in Anlehnung an Bataille schreibt. Eine Frau hätte wahrscheinlich dennoch andere Einschnitte gemacht, Ausschnitte gewählt, Trennlinien gezogen.
Bis 26.10., Bilderdienst, Pariser Straße 51, Mo.-Fr. 16-19 Uhr, Sa. 10-14 Uhr.
Das Weltbild von Blalla W. Hallmann ist ungleich einfacher gestrickt. Haß, wohin man blickt. Häßlich. Jacky Kennedy läßt sich von einem Schäferhund decken, John F. rammelt den Berliner Bären. Eine aufgequollene Marylin thront auf den Leibern ausgemergelter Schwarzer, Hitler spritzt seinen Samen auf das Judentum, Micky fickt eine Maus-Maria... so setzt sich der Reigen Hallmannscher Schreckensvisionen auf rund 100 Ölgemälden im Kunstamt Kreuzberg fort. Seltsamerweise findet kaum ein Kritiker den Punkt, an dem der hilflose Horror des »aggressiven Idealisten und bewußten Politmalers« in Rassismus, Sexismus oder Schwulenfeindlichkeit umkippt. Das Geschlecht wird bei ihm a priori zur pornographischen Stilblüte degradiert, zum Gewaltakt der Macht, den er allerdings selbst erst konstruieren muß, um überhaupt eine Aussage zu produzieren. Es sind immer nur seine eigenen Phantasien, die erscheinen. Was zunächst ziemlich banal klingt, entwickelt in der Ausstellung eine gefährliche Eigendynamik, in der zwischen Opfern und Tätern kein Unterschied gemacht wird. Sie werden gleichgültig zu Repräsentanten der Gewalt, auf die Hallmanns Exorzismen bauen. Die Anklage weicht der Faszination an der Darstellung. In ihrer Negativität werden die Bilder totalitär. Das im Korridor massenweise auf Leinentücher gedruckte Signet ähnelt dem Fahnenreigen der Faschisten mehr, als daß es ihm entgegenwirkt. Die Provokation hat den Empfänger verloren, nun bringt der Postbote sie dem Absender zurück. Oder, um in der Comicsprache von Hallmann zu bleiben: Am Ende explodiert die Bombe immer in den Händen von Elmer Fudd oder Karl dem Koyoten.
Heim, mir reicht's, bis 11.10., Mariannenplatz 2, Di.-Sa. 11-18 Uhr,
Frei von den Schwächen des eigenen Bedürfnisses nach einer höheren Ordnung ist naturgemäß keiner, Jussi Niva stellt diese postanalytische Redundanz noch einmal an die Schwelle zur Metaphysik. Wahrnehmen heißt für ihn, tiefer, als das Auge reicht, die Seh- Maschine an das Subjekt anzuschließen. Bei den Modell-Installationen, die in der Galerie Gebauer & Günther gezeigt werden, wird dieser Prozeß durch eine simple Trennung von Form und Farbe in Kraft gesetzt. Auf mittelformatigen Landschaftsphotographien in Schwarzweiß findet sich eine Palette mit verschiedenen Fabrtönen hineincollagiert, nach denen sich der Betrachter die Originalkolorierung imaginierend wieder zusammensetzen kann. Je nach Mischungsverhältnis wird aus den meist trostlosen Plätzen — etwa der eines Parcours zur Hundedressur — eine lebendige Landschaft. Menschen hat Niva von vorneherein ausgeblendet, damit der Betrachter nicht durch unruhige Handlungsmomente vom Thema der Re-Kreation abgelenkt wird. Mit der Farbverknüpfung entsteht das eingebildete Bild im individuellen Arrangement. Ähnlich entwaffnend ist auch der Titel: »Colouring Pages«, den Bilderbüchern zum Bemalen entlehnt.
Doch für solcherlei Verdienste auf dem Gebiet der Kunsttherapie wäre Niva sicher nicht nach Kassel eingeladen worden. Dementsprechend klafft die zugrundegelegte Lücke, die die Wahrnehmnung subjektförderng überbrückt, an anderer Stelle wieder auf. »red- made« und »blue-made« sind in dieser Hinsicht Objektreihen aus monochromen Photos von Bäumen, Gemälden und Holzlatten, die die »Erzählung« des Materials mit der Farbigkeit in bezug bringen. Der Maler gibt darin den Dingen einen höchst selbstreferentiellen Anstrich. Dort, wo der Gast den Gegenstand noch liebevoll mit Farbphantasien besetzt, bezeugt Niva bereits die Indifferenz gegenüber einer malerisch nicht mehr begehrenswerten Natur. Nur das Material ist bei sich selbst, die Einbildungskraft dagegen ist immer dazwischen.
Bis 15.10., Pfuelstraße 5, Mi.-Sa. 13-19 Uhr. Harald Fricke
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