WALWISSEN IN MITTE : Angenehm verrückt
Auf der Weidendammer Brücke riecht es nach Gegrilltem. Irgendwelche Anzugträger feiern irgendwas und haben dafür die halbe Straße vor dem Meliá abgesperrt. Die Übrigen – also die Touristen – fahren in Rudeln auf der Friedrichstraße Fahrrad. Über alledem erhebt sich Gebrüll: der Typ, der hier jeden Abend irgendwelche unverständlichen Thesen ins Leere schreit, meist auf Englisch oder Spanisch. Heute auf Französisch.
Ich bin mit J. auf ein Bier verabredet, sie will von Norwegen erzählen, wo sie zum Journalistenaustausch war. Wir gehen in die Marienstraße, zur einzigen okayen Bar hier, wie J. sagt, und recht hat sie. Während wir draußen sitzen und die Abendsonne leuchtet, erzählt sie vom Abstecher zur Lokalzeitung einer Insel oberhalb des Polarkreises. Die Redaktion war angenehm verrückt, sagt sie: Es gab einen menschenscheuen Reporter und eine Frau, die in einer Geheimsprache redete, bis J. begriff, dass es Deutsch sein sollte. Jeden Tag wurde „London Calling“ aufgelegt, in der Live-Version. Trotzdem verdienen norwegische Journalisten ein Vielfaches von taz-Redakteuren: wegen dem Öl.
Außer Öl gibt es in Norwegen Wal. J. hat ihn gegessen und mochte es. Wir checken unser Walwissen ab: Barten- und Zahnwale, Walrat, Blubber. Dass Wale von dingoähnlichen Hunden abstammen sollen, wie J. behauptet, kann ich nicht glauben, aber auch nicht googeln, weil mein Telefon tot ist.
Ein Mann kommt mit Gitarre und Verstärker. Er baut sich genau vor uns auf und singt von „Millionen Tropfen auf der Haut“ und „Glücksmomenten“. Es ist fürchterlich. Als er mit der Mütze herumgeht, fragt er verschwörerisch: „Hat es Ihnen ein bisschen gefallen?“ J. denkt kurz nach, sagt freundlich „Eigentlich nicht“ und gibt ihm trotzdem etwas.
Zwei Stunden später brüllt der Typ auf der Brücke immer noch. Jetzt klingt es wie Holländisch.
CLAUDIUS PRÖSSER