WALTRAUD SCHWAB LEKTIONEN : „El Muna“ – das Glück
Sie nennen es Tavla, andere nennen es Backgammon. Im türkischen Männerlokal im Berliner Kiez will ich es lernen
Was, Tabla lernen?“, fragt der Typ mit wässrigen Augen vor einer Spielhalle in Berlin-Wedding. „Tabla?“ – er trommelt abgehackt an die Ladentür. Kokain und so was verstellen ihm die Koordination. „Das Brettspiel halt“, ich würfle in die Luft. „Ach so, Tavla“, er spuckt dabei. Aber in der Spielhalle, vor der er steht, gibt es nur Sportwetten. „Geh weiter.“
Einst Männercafés, jetzt Automatencasinos – auch beim nächsten ist der Blick des Wirts glasig. „Kann nicht.“ Seine Sprache fragmentiert, da ein Stück Wort, dort eins. Er fragt Kartenspieler in einer Ecke auf Türkisch, ob jemand mir Tavla beibringen möchte. Niemand will. „Andre Laden, andre Seit.“
„El Muna“ steht über dem Eingang. Vorne Sofas, in der Ecke der Fernseher, an den Wänden Inschallah. In den Räumen dahinter, halb lila, halb beige, stehen Tische. An allen sitzen junge Männer, rauchen Wasserpfeife, spielen Karten. Nur an einem sind drei, vor denen das Tavla-Backgammon-Brett liegt. Der Wirt verklickert ihnen mein Anliegen. Die drei schauen zur Seite. „Sind Sie von der Polizei?“, fragt einer. „Journalistin“, ich zeige den Journalistenausweis. „Ich muss jeden Monat was lernen“, sag ich. „Lektionen“, sag ich. „Jemand muss mir Tavla beibringen. Sie?“ Die drei sagen nichts, saugen an den Wasserpfeifen. Und inhalieren. Apfel, der eine, der andere Orange-Minze, der dritte Apfel-Zimt.
Der wortlosen Einladung, mich zu setzen, folge ich. Der, an der Wasserpfeife zu ziehen, nicht. Kubi und Yusuf spielen gegeneinander. Rasend schnell. Kubi wirft Paschs, das macht es noch schneller. Die Spielsteine müssen durchs gegnerische Feld ins eigene und von dort rausgewürfelt werden. Kubi spielt alleine, weil er Yusuf blockiert. Auf allen sechs Dreiecken seines Spielfelds stehen weiße Steine in doppelter Reihe, auf einem stehen gar fünf Steine übereinander – wie eine orientalische Stadtmauer mit Minarett sieht es aus. Sein Gegner, Yusuf, der noch Steine reinwürfeln muss, kann nichts tun. Denn Felder, wo mehrere Steine liegen, sind für ihn tabu. Yusuf gibt auf. Zwei zu null. „Wollen Sie? Wir helfen.“ Ich würfle, sie setzen. Ruck, zuck! geht das. Fatih, mein Gegner, wirft Paschs, ich ungerade Zahlen. Und? Schon verloren.
Die Männer 20, 24, 25 Jahre, sind wortkarg. Der eine arbeitet bei Papa. Was? „Reinigung.“ Der andere arbeitet bei Papa. Was? „Schlüsseldienst.“ Der Dritte macht eine Lehre als Autoverkäufer. Einer zieht bald nach Fethiye. Der andere nach Hamburg. Der Dritte liebt Berlin. Im El Muna trifft man sich. Ob es wie ein Jugendclub sei. Falsche Frage. „Ist zum Freundetreffen.“ Und wenn Sie alle wegziehen? „Dann komm ich trotzdem“, sagt der, der nach Hamburg geht. „Ist der einzige Laden, wo ohne Drogen und so.“ Und so halt.
„Ne var?“, kommt ein Vierter an den Tisch. Was los? „Reportaj yapiyor“ – sie macht ’ne Reportage. So viel Türkisch versteh ich. Da fragt einer vom Nebentisch: für welche Zeitung. Für die taz. „Kauft doch keiner, ey. Ich arbeite Zeitungsladen und so.“ Beim Rausgehen frage ich den Wirt, was „El Muna“ heißt. „Glück“, sagt der. Das merke ich mir.
■ Die Autorin ist sonntaz-Redakteurin auf lebenslanger Lernmission Foto: Isabel Lott