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Archiv-Artikel

WALTER LOCHMANN ÜBER ARBEITSZEITPOLITIK AUF DEM „WEG INS PARADIES“ 35.000 Stunden sind genug

Mit dem Slogan „35 Stunden sind genug“ haben Gewerkschaften in den 1980er Jahren für Arbeitszeitverkürzung gekämpft. So wurde Beschäftigung gesichert, aber die Jobs wurden auch intensiver.

Inzwischen müssen Vollzeitbeschäftigte wieder deutlich länger arbeiten. Doch ein gutes Leben gibt es nicht ohne massive Arbeitszeitverkürzungen – zum Beispiel auf 30 Stunden in der Woche. Die damit einhergehende drastische Umverteilung von Arbeit würde die existenzielle Unterwerfung unter das Erwerbsregime mindern. Arbeit wäre dann nur eine Tätigkeit unter anderen. Und weil Menschen in „gleichen Gesellschaften“ glücklicher sind als in „ungleichen Gesellschaften“, sollten die Arbeitsbedingungen über die Branchen hinweg angeglichen, Produktivitätsgewinne gerechter verteilt und vor allem die schlecht bezahlten Jobs deutlich besser bezahlt werden.

Um dorthin zu gelangen, reicht es heute nicht mehr, auf die Wochenarbeitszeit zu blicken. Auf der Suche nach „Wegen ins Paradies“ lässt sich aber immer noch an den französischen Sozialphilosophen André Gorz und den schwedischen Ökonomen Gunnar Adler-Karlsson anknüpfen. Im Kern einer modernen, solidarischen Umverteilung der Arbeit müsste ein Lebensarbeitszeit-Modell stehen: zum Beispiel 35.000 Stunden mit einem Anspruch auf lebenslangen Lohn. Das würde bei einem 40-jährigen Berufsleben etwa einer halben Stelle im heutigen Sinne entsprechen.

Mit einem solchen Projekt könnte sich unser Leben deutlich verbessern: Phasen intensiver Arbeit und solche, in denen andere Tätigkeiten im Mittelpunkt stehen, wechselten sich ab; Männer und Frauen hätten gleichermaßen Zeit für Muße, Bildung, familiäre Fürsorge, politisches Engagement – und auch für eine neue Art des Zusammenlebens.

Für die Gewerkschaften ist das eine Herausforderung, auch ein Auftrag zur Selbstveränderung und für eine neue, offensive Tarifpolitik. Denn: 35.000 Stunden sind genug.

Walter Lochmann, 54, ist Diplompädagoge, lebt in Bad Vilbel und ist seit 1991 Genosse der taz