piwik no script img

Vulkan-Protest entflammt die Stadt

■ 4000 am Domshof / Bremerhavens Bahnhof besetzt / Heute "Generalstreik" in Vegesack

Die Flamme des Protests greift von den Koksöfen am besetzten Tor der Vegesacker Vulkan-Werft auf die Stadt über. Nachdem schon gestern morgen 1800 Werftarbeiter den Bremerhavener Bahnhof für eine Stunde besetzt hatten, haben am Nachmittag 4000 Arbeiter der Vulkan-Firmen vor der Verbund-Zentrale am Domshof für den Erhalt des Verbundes demonstriert.

Der IG-Metall-Bezirksleiter Küste und Verbunds-Aufsichtsrat Frank Teichmüller forderte, die Standorte auch nach einem „Befreiungsschlages“, der auch ein Vergleich oder Konkurs sein könnte, zu sichern. Bürgermeister Henning Scherf (SPD) warb für eine gemeinsame Rettungsaktion von Ländern und Bund.

Während der Vorstand heute seine Mitteilung über die Zukunft des Konzerns bekanntgibt, stehen in Vegesack alle Räder still. Die Menschen versammeln sich um 9.30 Uhr auf dem Sedansplatz: Solidarität mit den Vulkanesen, die auch gestern das Werkstor sicherten, um Lieferanten am Abtransport von Material zu hindern.

Vegesacker Kaufleute machen für eine halbe Stunde ihre Läden dicht. Gastronomen schenken Suppe aus. Ämter bleiben geschlossen, Schüler und Lehrer lassen den Unterricht ausfallen. „Wenn die Werft dicht gemacht wird, kriegen auch die Läden hier Probleme“, sagt der stellvertretende Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt. Die Angst um die Kaufkraft ihrer Kunden hat die Inhaber der 250 Geschäfte aufgeschreckt. „Die Lage war noch nie so dramatisch“, weiß Nils Koerber, Chef eines Möbelhauses und der Händler-Vereinigung City-Ring.

Heidi Adam hat ihr Brautmodengeschäft auf der Lindenstraße schon gestern Mittag geschlossen. Sie sammelt in den Geschäften Spenden für die Werftarbeiter und verteilt Solidaritätsplakate für die Schaufenster. Im Grill-Imbiß findet Adam offene Ohren. „Natürlich machen wir mit“, meint resolut die Chefin. Man könne Erbsensuppe spenden. Schließlich seien die Arbeiter nicht Schuld am Vulkan-Elend. „Der Hennemann hat doch den Karren gegen die Wand gefahren“.

Ähnliches hört man oft in Vegesack. „Die Arbeiter mußten immer schneller arbeiten“, wettert Ismet Özcan. „Aber die Manager haben die dicken Gehälter kassiert und seit Jahrzehnten Mist gebaut“. Nach 29 Jahren als Schlosser beim Vulkan wurde der heute 56jährige 1994 in Frühpension geschickt. Heute ist er zweiter Vorsitzender der Vulkan-Moschee, wenige Schritte vom Werkstor. „Ich würde auch ohne Geld wieder arbeiten, wenn es was helfen würde“.

Gestern waren 900 Gläubige zum Gebet in das Holzgebäude gekommen, das der Vulkan 1974 für seine muslimischen Arbeiter spendiert hatte. Sie feierten in gedrückter Stimmung das Zuckerfest, den Abschluß des Fastenmonats Ramadan. Die Krise beim Vulkan hat auch in die muslimische Gemeinde voll durchgeschlagen. „Wo sollen unsere Kinder denn mal Arbeit finden?“, fragt Özcan ratlos.

Nicht nur die Vulkanesen selbst ringen um ihre Arbeitsplätze. „Ich glaube kaum, daß unsere Firma ohne Aufträge vom Vulkan eine Überlebenschance hat“, sagt skeptisch Diethardt Holzer, Chef der Schiffsmalerfirma Helmut im Sande. Er hat nicht vor, Material aus der Werft zu schaffen. Schließlich sei man seit 20 Jahren für den Vulkan tätig, da müsse man auch schlechte Zeiten des Auftraggebers überstehen. Die meisten seiner 60 Mitarbeiter hat Holzer aber in den Zwangsurlaub geschickt.

Vor dem Tor herrscht unterdessen grimmige Entschlossenheit. Während auf den Docks die Kollegen auf Hochdruck schuften, um die bestellten Schiffe im Zeitplan fertigzukriegen, löst sich die Wache im Vier-Stunden-Takt ab. Günter Ruppin, 54, Kupferschmied, hat schon die AG-Weser-Pleite mitgemacht. „Damals hatten wir Arbeitsmangel. Heute werden wir Opfer im Spiel des großen Kapitals.“ jof

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen