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SanssouciVorschlag

■ Diskretes Ohrenwackeln: Earl Okin in der Bar jeder Vernunft

Honigsüß tropfen die Töne, die einschmeichelnde Stimme zerfließt in zartem Schmelz. „Honey, take a chance with me!“ fleht Earl Okin und flirtet heftig mit dem Publikum. „British but sexy“ heißt das Motto, unter dem der bald 50jährige, dickliche Mann mit dem messerscharfen Scheitel und der John-Major-Brille auftritt. Und tatsächlich: Er ist einfach unwiderstehlich. Am Anfang seiner Karriere brachte Earl Okin das Publikum für Paul McCartneys Tourneeauftritte in Stimmung, heute füllt er allein Säle wie die Royal Albert Hall in London. Jazzklassiker und Bossa Nova spielt und singt er technisch vollkommen, mit genau dem richtigen Maß an Sentiment und dabei voll unaufdringlicher Komik. Vor Sinnlichkeit wird Earl Okins Stimme ganz schwach und brüchig, wenn er Fats Wallers „Honeysuckle“ intoniert, und bei einem lateinamerikanischen Schmachtfetzen will er schier einschlafen vor melancholischer Hingabe.

Am schönsten aber sind die Trompetensoli, die er mit seiner Stimme imitiert. Klanglich sind die halsbrecherischen Läufe und Glissandi kaum von einer gedämpften Jazztrompete zu unterscheiden. Dabei verzichtet der wohlerzogene Brite völlig auf Mätzchen, höchstens bewegt er bei einem besonders satten Vibrato mal die Ohren diskret im Rhythmus der Musik. Zwischen den Blue Notes stimmt Earl Okin gelassen seine Gitarre und plaudert heiter drauf los, über Plattenfirmen, Schmusesongs und die Schrecken einer Tournee durch North Carolina, wo sonntags nur Kirchen und Waschsalons geöffnet haben. Zur Illustration klampft er einen Countrysong und vertauscht seinen gepflegten Oxford-Akzent mit dem berüchtigten Southern drawl.

Earl Okins Lieblingsthema aber ist Sex – ein Wort, das der Künstler in typisch britischer Manier nur unter Verrenkungen über die Lippen bringt. Selbst eine so harmlose Frucht wie die Mango gerät ins Rotlichtmilieu, wenn Earl Okin sie zweideutig lächelnd besingt und das Mikrofonkabel dabei verwegen über seine Schulter drapiert. Die Zuhörer lauschen mucksmäuschenstill, um kein Wort dieser leisen, zurückhaltenen Show zu verpassen. Nur einmal wird Earl Okin laut, fast so laut wie Frank Sinatra: In einer hinreißenden Parodie auf „My Way“ besingt er den Schmerz eines Musikers, der auf seinen Tourneen stets nur verstimmte Klavierkrüppel antrifft. Da braust seine Stimme auf zu der machtvollen Forderung: „I want a Steinway!“ Miriam Hoffmeyer

„British but sexy“, von heute bis 14.4., täglich außer 9.4., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24

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