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■ VorschlagDas eigene Zeitgefühl manipulieren – etwa mit Musik von Sun Ra

Dieser Vorschlag ist größtenteils ein Nachschlag, und das ist auch kein Wunder. „Wir werden es gemacht haben können“ ist das Motto der Veranstaltungsreihe, um die es hier geht. Davon abgesehen, daß die meisten Abende bereits stattgefunden haben, ist ihr Motto ziemlich trickreich und demonstriert auch gleich seine Absicht: die alltägliche Konstruktion einer durch Digitaluhren, Terminkalender und Terminator-Filme bestimmten und damit eigentlich schon wieder vergangenen Gegenwart gezielt zu manipulieren.

Dafür hat man immer schon Drogen und Musik benutzt, und in jüngster Zeit wird derartigen Praktiken durch digitale Klangbearbeitung vermehrt Vorschub geleistet. Der Titel von A Guy Called Geralds Drum + Bass Epos „Black Secret Technology“ bezeichnet im Sinne des Entdeckers die Fähigkeit zur Kontrolle der Zeit: Mittels digitalen sound stretching läßt sie sich beliebig dehnen.

„Wir werden es gemacht haben können“ näherte sich der Frage allerdings durch den Einsatz positiv oder negativ beschleunigter Filme und analoger Instrumente. Mit Hilfe des extrem verlangsamten Klassikers „Wizard of Oz“ sollten die Zuschauer in ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum versetzt werden. Wenn die über die Wahrnehmung konstruierte Zeit gegenüber der sozialen verlangsamt wird, entsteht ein überschüssiger Zeitraum, den man mit autonomen Aktivitäten ausfüllen kann. Noch Tage später kann dieser Zustand allerdings zu ernsthaften Problemen im Straßenverkehr führen, wie Langzeitprobanden einstimmig feststellten.

Im Zentrum des letzten Abends steht das jahrzehntelange Schaffen Sun Ras. Er habe durch die Verknüpfung von Ritualen einer mythischen Vergangenheit mit futuristischen Sounds der primitiven westlichen Welt seine eigene Idee von enlightenment nahezubringen versucht, bemerkte Kollege Amiri Baraka einmal. Ras Myth Science Arkestra marschierte als interplanetarische Big Band zur Eröffnung des Black Arts Theaters in Harlem über die 125. Straße und markierte damit einen der denkwürdigen Momente der beginnenden „Black Liberation Movements“. Und ganz nebenbei hat der Mann schon vor Dekaden Jazz via Synthesizer ins 21. Jahrhundert gebeamt. Oder war es umgekehrt? Daß auch das utopische Moment in Ras Musik von einer anderen Vorstellung von Zeit lebt, hat Baraka so formuliert: „What is not is what drives what is. The future is always here in the past.“ Ulrich Gutmair

Sun Ra – outer nothingness, heute, 24 Uhr,

Hochzeitsraum Strelitzer Straße 60

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