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■ VorschlagTerror und Tabu: NS-Plakate in der SU

Die Dokumente stammen aus Minsker Archiven und werden zum ersten Mal gezeigt. Warum sie erst jetzt ausgewertet werden, versteht, wer sich die Plakate genau ansieht und dazu die nebenstehende deutsche Übersetzung der russischen Texte liest: Es sind bunte Naziplakate.

Da sind in markanten Pinselstrichen deutsche Wehrmachtssoldaten in einer Reihe aufgestellt, in Stahlhelm und Kampfausrüstung halten sie ihre Gewehre im Anschlag, bilden einen Schutzwall für eine russische Bauernfamilie, die mit Sense und Rechen nach rechts zur Erntearbeit geht. Die Russen lächeln sehr arisch, dazu der Text: „Vor einem Jahr wurde Eure Befreiung begonnen. Eure Arbeit ist Eure Dankbarkeit.“

Oder: Russische Jugendliche, Jungen und Mädchen, blond und blauäugig, stehen in der offenen Türe eines Eisenbahnwaggons und lachen. Dazu der Text: „Ich fahre morgen ab. Wer fährt mit?“ Die Plakate riefen die weißrussische Bevölkerung zur Kollaboration mit der deutschen Zivil- und Militärverwaltung auf. Das Thema Kollaboration war jedoch bisher für die sowjetische und weißrussische Geschichtsschreibung ein Tabu.

Was diese Ausstellung im Steglitzer Rathaus darüber hinaus sehenswert macht: Die lockenden Verheißungen auf den NS-Plakaten der Besatzer werden dem blutigen Alltag der Zivilbevölkerung gegenübergestellt. Akten und Fotografien dokumentieren die wirkliche Absicht der deutschen Zivil- und Militärverwaltung: Ausrottung der sowjetischen Juden, Ausplünderung der Landwirtschaft zur Versorgung der Besatzungsmacht, Rekrutierung der arbeitsfähigen Bevölkerung durch willkürliche Razzien, Deportationen (auch von Kindern) für die Zwangsarbeit im Reich, Erschießungen wegen noch so kleiner „Vergehen“. Der ausgezeichnete Katalog, herausgegeben von Johannes Schlootz, eröffnet uns ein bisher unbekanntes Kapitel über die nationalsozialistische Propaganda und kostet nur acht Mark. Paul Kohl

Steglitzer Rathaus, noch bis zum 22. Juni montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr, Eintritt frei

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