■ Vorschlag: Geiler Leerlauf als Ballett: Cesc Gelabert bei „Tanz im August“
Was ist nur mit diesem Mann los? fragt meine Sitznachbarin. Midlife-crisis? Ist der spanische Choreograph künstlerisch ausgebrannt? Daß Cesc Gelabert neue, ganz besonders aufregende Wege gehen würde, will uns das Programmheft weismachen – das Gegenteil ist der Fall. Der seit 1988 so oft vom Hebbel-Theater nach Berlin eingeladene, immer noch als „jung“ gehandelte Choreograph zeigt Anzeichen von Altersstarrsinn. Mußte sich schon in „Lucrezia Stop“ (eine von Gelabert im Rahmen des „Tanz-Winters“ präsentierte Arbeit) die Tänzerin Alma Munteanu enervierend oft auf den Arsch hauen und dabei ordinär die Glieder verrenken, so wurden nun die Gehirnzellen der Akteure gänzlich verabschiedet.
Penetrant debil müssen die drei TänzerInnen in „Armand Dust 2“ und „Thirst“ – zwei Uraufführungen, die im Rahmen von „Tanz im August“ im Hebbel-Theater präsentiert wurden – ihre Gesichter verziehen. Anfangs findet man die schrägen Kreuzungen aus Donna und Kammerzofe, aus Ritter und weichlichem Pagen, aus mittelalterlichem Narr und SM-Sklaven noch lustig. Man denkt an Almodóvar-Filme, findet alles typisch spanisch und kann Gelaberts Versuch, die vielen Zeiten zugleich auf die Bühne zu zitieren, durchaus etwas abgewinnen. Doch fehlt nicht nur der Almodóvarsche Humor, auch Raumgefühl und Bewegungsphantasie sind dem Choreographen völlig abhanden gekommen. Die Tänzer bewegen sich im Leerlauf. Zweimal eine halbe Stunde verrenken sie in verschiedenen Formationen geil die Glieder und mittendrin Gelabert höchstpersönlich. Waren einem früher dessen Selbstinszenierungen (der Hirte unter seinen Tanzschäfchen) nur begrenzt sympathisch, so ist mit „Armand Dust 2“ und „Thirst“ die Ekelgrenze eindeutig überschritten.
Gelabert würde in seinen Arbeiten Menschen als Konstruktion aus Bildern zeigen, heißt es im Programm. Und zwar aus Bildern, die sich aus einem Imaginären speisen und die Träume ebenso wie den Alltag und die Geschichte beherrschen. Mag das im vergangenen Jahr (denn auch beim letzten „Tanz im August“ war Gelabert dabei) noch ansatzweise gelungen sein, so scheinen die Auseinandersetzungen mit der Dekadenz in den neuesten Stücken nur noch eines zu dokumentieren: den Überdruß des Choreographen an seiner Arbeit. Ansonsten war „Tanz im August“ in diesem Jahr hervorragend, so daß heute zu Recht eine Mega-Tanzparty gefeiert wird: DJs, Live- Acts, House-Music und Easy Listening, drinnen & draußen... Heute ab 22 Uhr für alle Tanzfans im Podewil. Michaela Schlagenwerth
Cesc Gelabert, heute 20.30 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstr. 29
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