■ Vorschlag: Polnische Dokumentarfilme
Eine Gruppe junger Männer mit gestriegelten Lang-Façon- Haarschnitten und ein paar Mädchen, deren Fifties-Kleider heute bereits ihren x-ten Retrofrühling hinter sich haben – die Zigarette immer im Mundwinkel, stehen sie in Trauben unter Soldaten- und Arbeiterdenkmälern, zu denen die Kamera gelegentlich scheel hinaufblickt. So porträtiert der 1930 geborene Kazimierz Karabasz, der „Nestor des polnischen Dokumentarfilms“, junge Leute um 1957, die sein 20minütiger Film als „Menschen aus dem leeren Raum“ betitelt. Schwarzweiß und in strenger neorealistischer Manier sieht Karabasz die Warschauer Stadtjugend. Ein Sprechtext erzählt von ihren Alltäglichkeiten: von der Fabrikarbeiterin Sofia oder ihrer Freundin, die sich den Tag mit dem Blättern in Modemagazinen zu vertreiben scheint. Ennui und destruktive Perspektivlosigkeit, die an die „schrecklichen Kinder“ aus Cocteaus gleichnamigem Film erinnert. Im Gegensatz zur engen Innerlichkeit dort sind die Orte von Karabaszs Jugendlichen die großen Warschauer Plätze mit Tramverkehr, die Caféhäuser oder eine sturmfreie Wohnung, in der ein bißchen Halbwelt mit Gefummel, Saufgelage und Gesang geprobt wird. Ebenfalls in Schwarzweiß gedreht ist „89 mm zu Europa“ von 1995, der in einer riesigen Eisenbahnhalle die Eisenbahner inmitten krasser Schlagschatten beim Umsetzen der Züge zeigt. Ein Paar Millimeter nämlich unterscheidet sich die russische Gleisbreite von der im restlichen Europa üblichen. Der Film wirkt dabei wie eine etwas verspätete Hommage an den verdienten Eisenbahner. Mit „Das Krankenhaus“ (1976) von Krzysztof Kieslowski setzt sich das Sujet Alltag und Arbeitswelt fort. Jeweils unterteilt von Zeiteinblendungen von 8 bis 24 Uhr läuft die Around-the-clock-Maloche mit viel Getöse und Gejammer ab. Verletzte in der Notaufnahme, Gehämmer auf Eisenstäbe, die in zu schienende Knochenbrüche getrieben werden, erschöpfte Pfleger beim Stullenschmieren. Nach 17 qualvollen Minuten ist alles vorbei. Gudrun Holz
Vom 16. bis 18.1. im Arsenal, Welser Straße 25, Schöneberg, und vom 17. bis 18.1. im Polnischen Kulturinstitut, Munk-Kino, Karl- Liebknecht-Straße 7, Mitte
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