■ Vorschlag: Türkise Großstadt-Grooves: Orientation im Ballhaus
Melting Pot, wo bist du? Musikalisch gesehen, gehen Türken und Deutsche im Berlin der Neunziger deutlich unterschiedliche Wege: Während sich die hippe germanische Szenejugend in den Clubs von Mitte bis Prenzlauer Berg bei Techno, Jungle und „Alternative Rock“ vergnügt, lauschen die meisten türkischen Teenager lieber den Klängen des aktuellen türkischen Kassettenpop, wie er aus dem Radio, jeden Sonntag auf KISS FM etwa, oder in einem der vielen neuen, schnieken In-Cafés der türkischen Jeunesse dorée blechern aus den Lautsprechern tönt. Entfremdung total und damit möglicherweise ein eher ungünstiger Zeitpunkt für Vermischungsstrategen wie die Jungs von „Orientation“. Oder aber genau der richtige Moment, weil schließlich das Unzeitgemäße von heute schon die Avantgarde von morgen sein kann.
Wie auch immer: Das deutsch-türkische Konglomerat „Orientation“ versucht, die auseinanderdriftenden Schollen in soulnassem Boden zu verankern, ohne dabei auf naheliegende HipHop-Tribalismen zu setzen. Die Kernkonstellation von „Orientation“ ist vielversprechend: der routinierte Jazzbassist und Bandkoordinator Andreas Advocado, der inspirierte, in Arabesk-Modulationen schwelgende Sänger und Ney-Flötist Günay sowie der durch wahllose türkische Hochzeiten gestählte Saxophonprofi Turgay. Aus der Unterschiedlichkeit, weniger der Kulturen als der Charaktere wohlgemerkt, beziehen sie die Spannung, die das „Orientation“-Mobile zum Laufen bringt. Urbaner Groove mit kräftiger anatolischer Komponente, der Sound of Kreuzberg in den Neunzigern in seiner Lifestyle-Variante, ein Stilmix, der nicht zuletzt der Tatsache Rechnung trägt, daß der Bezirk unüberhör- und unübersehbar türkischer geworden ist seit Mauerfall und Vereinigung, ohne dabei gleich zum gern beklagten Ghetto-Sozialfall zu werden.
An ihrem Cross-over-Ansatz, das Beste aus zwei Welten zusammenzubringen, hat die Band lange gefeilt. Was lange währt, wird endlich Glut: „Geheimnisvoll orientalisches Saxophon-Feuer“ und „schwarze Großstadt-Grooves“ fügen sich zu „türkisen, moschusschwangeren Melodien“ und „hypnotischen Harmonie-Mustern“, dichtet der Pressetext, der sich bemüht, den Bilderreichtum der türkischen Sprache in deutsche Worte zu pressen. Was nicht immer perfekt gelingen muß, um doch einen ganz eigenen Charme zu haben. Daniel Bax
Sonntag um 21 Uhr beim Abschlußfest des Kreuzundquer-Festivals im Ballhaus Naunynstraße, Kreuzberg
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